Fremde Schiffe
einzige Krankheit gehandelt hatte. Dennoch waren die Verluste überwältigend. Nicht einmal der schlimmste Krieg hatte so viele Opfer gefordert – und gewiss nicht mit solcher Schnelligkeit. In weniger als zwei Monaten hatte Königin Shazads Reich schwerste Schäden erlitten. In ihrem Unglück vergaß die Herrscherin den Spion Ilas von Nar vollkommen.
Der Hof befand sich in ernster Stimmung und alle Anwesenden trugen kostbare, dunkle Trauerkleidung. Die Gesichter waren weiß geschminkt und winzige blaue Tropfen stellten Tränen dar, die über die Wangen liefen. Auch die Musik der Harfen und Flöten klang traurig. Dennoch wirkten die Menschen erleichtert, denn sie gehörten zu den Überlebenden. Sie atmeten ein wenig freier als in den letzten Tagen und genossen den Gedanken, der Katastrophe entkommen zu sein.
Die Königin saß auf ihrem Thron und kam ihren täglichen Pflichten nach. Sie empfing Bittsteller und ausländische Gesandte. Natürlich war ihr daran gelegen, das Auslaufen der Flotte voranzutreiben, Matrosen und Soldaten aus ihrer Apathie zu reißen und auf den Feind zu hetzen, ehe der herannahende Herbst eine Seereise verhinderte.
Neben ihr saß Ansa, der sich gründlich langweilte. Der Aufenthalt in Neva, dem er so erwartungsvoll entgegengesehen hatte, erwies sich als überwältigender Fehlschlag. Er half weder Shazad noch seinem eigenen Volk, verschwendete seine Zeit als Gast der Königin, ritt ihre Cabos und nahm an Festessen teil, während die Seuche vielleicht seine Heimat heimsuchte.
Was im Osten geschah, wusste niemand. Das berühmte Kurierkorps, das Neva mit dem Rest der Welt verband, war zum Erliegen gekommen, damit die Seuche nicht in fremde Länder übertragen wurde. Ansa hatte keine Ahnung, ob Mezpa die Steppe angegriffen hatte oder ob auch dort die Seuche wütete. Er wusste auch nicht, ob sein Vater noch lebte. Wenn Hael tot war, hatte die Welt den schlimmsten Schlag erlitten. Nur seine einzigartige Fähigkeit, Männer anzuführen und die Manöver seiner Feinde vorauszusehen, hatte viele Nationen zusammengeschmiedet und zum Sieg geführt. Ansa blickte in eine finstere Zukunft. Sie sah noch finsterer aus, als der Bote in den Thronsaal stürmte.
Der Mann trug die rote Lederkleidung und den Federhut der Boten, die nur innerhalb der Landesgrenzen ritten. Diese Männer mussten sich nicht an das Protokoll halten, wenn sie der Königin gegenüberstanden. Mit einem Knall flog die Tür auf und er rannte quer durch den Saal, um bäuchlings vor dem Thron zu landen. Zwei trübsinnige Gelehrte sprangen beiseite, um nicht mit der schmutzigen Kleidung des Kuriers in Berührung zu kommen.
»Majestät!«, schrie der Mann. »Dringende Botschaften aus dem Norden!« Er hielt Shazad die vergoldete Röhre entgegen.
Mit besorgtem Gesicht wartete sie ab, bis ihr ein Page die Botschaft reichte.
»Ich lese sie gleich«, sagte sie, »aber teile mir den Inhalt in wenigen Worten mit. Wahrscheinlich bringst du schlechte Nachrichten. Ist eine neue Seuche ausgebrochen?«
»Majestät!« Der Bote zitterte förmlich. »Die Insulaner sind wieder da! Sie haben den ganzen Norden angegriffen und strömen mit zahllosen Schiffen und Booten übers Meer.« Ein lautes Stöhnen lief durch den Thronsaal. Münder öffneten sich, Augen wurden aufgerissen.
»Außerdem wurde König Gasam inmitten seiner Krieger gesehen. Die abscheuliche Königin ist an seiner Seite!«
Shazad sah aus, als hätte man ihr einen Dolch zwischen die Rippen gestoßen. Ihr ungeschminktes Gesicht wurde fast durchsichtig. Ansa befürchtete, sie würde jeden Augenblick tot zusammenbrechen. Er beugte sich vor in dem Wissen, dass die Geschicke der ganzen Welt in diesem Augenblick auf Messers Schneide standen.
»Shazad«, flüsterte er eindringlich, »wenn du nicht sofort handelst, ist die ganze Welt verloren!«
Sekundenlang schien es, als hätte sie ihn nicht gehört. Im Raum herrschte atemlose Stille und alle warteten auf eine Reaktion der Königin. Langsam nahm ihr Gesicht wieder Farbe an. Erst sah sie fast normal aus, wurde dann aber röter und röter, bis sie schließlich mit purpurrotem Gesicht aufsprang und die Röhre zu Boden schleuderte. Bei dem lauten Klirren zuckten die Anwesenden zusammen.
»Das Monstrum wagt es!«, kreischte sie. »Den Göttern und uns zum Trotz wagt Gasam es, mein Reich anzugreifen und uns während der Staatstrauer zu bedrohen! Ich habe genug!« Sie sah wie eine Wahnsinnige aus, als sie den Arm senkte und auf ihren Hofstaat
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