Fremden Kind
Sockelverkleidung der Wände und die Kassettendecke mit ihren Paneelen, Darstellungen der zwölf Monate, waren behutsam verschalt und an den frisch gestrichenen Wänden einige der ursprünglichen Bilder jetzt neben ganz neue Arbeiten gehängt worden. Der alte Sir Eustace und seine junge Frau Geraldine, deren lebensgroße Porträts sich zärtlich in die Augen blicken sollten, waren nun durch ein großes, beinahe abstraktes Gemälde einer Fabrik oder eines Gefängnisses, voneinander getrennt. Daphne drehte sich um und sah zu Sir Edwin, der aus Respekt an die gegenüber liegende Wand gehängt worden war, neben ein recht unterkühltes Porträt von Daphnes Schwiegermutter. Es war einige Jahre vor dem Krieg entstanden und zeigte sie in einem dun kelroten Kleid, das Haar nach hinten gekämmt, in den großen trüben Augen nicht der Funke eines Zweifels. Sie hielt einen geschlossenen Fächer wie einen gelackten, schwarzen Taktstock. Hier trennte nichts das Paar, nur umgab die beiden in ihren vergoldeten Schnitzrahmen eine irgendwie bedrohliche, spöttische Aura. Den alten Salon, in dem die dicken Vorhänge selbst dann, wenn sie aufgezogen waren, viel Licht verschluckten, hatte Daphne mit Vorliebe als Rückzugsort beansprucht, der neue bot diese Fluchtmöglichkeit nicht, und sie beschloss, nach oben zu gehen, um nachzusehen, ob die Kinder fertig waren.
»Mummy!«, sagte Wilfrid, kaum hatte sie das Kinderzimmer betreten. »Kommt Mrs Cow auch?«
»Wilfrid hat Angst vor Mrs Cow«, sagte Corinna.
»Stimmt ja gar nicht!«, sagte Wilfrid.
»Vor einer lieben alten Dame braucht man keine Angst zu haben«, sagte das Kindermädchen.
»Richtig, Nanny, vielen Dank«, sagte Daphne. »Was ist, meine Lieben? Wollt ihr Granny Sawle nicht überraschen?«
»So wie das letzte Mal?«, fragte Corinna.
Daphne überlegte kurz und sagte dann: »Diesmal wird es eine doppelte Überraschung.« Für Wilfrid waren diese Rituale, ausgedacht von seiner Schwester, noch immer ungeheuer spannend, doch Corinna empfand sie zunehmend als unter ihrer Würde. »Wir müssen lieb zu Mrs Cow sein«, sagte Daphne. »Sie fühlt sich nicht wohl.«
»Ist sie ansteckend?«, sagte Corinna, die gerade die Masern überstanden hatte.
»Nicht krank, wie du meinst«, erklärte Daphne. »Sie plagt eine schlimme Arthritis. Leider hat sie immer große Schmerzen.«
»Arme Frau«, sagte Wilfrid, sichtlich um eine reifere Einstellung bemüht.
»Ja«, sagte Daphne, »arme Frau.« Vorsichtig ließ sie sich auf dem hohen gepolsterten Kamingitter nieder. »Kein Feuer heute, Nanny?«, sagte sie.
»Es ist so schön draußen, my Lady, dass wir darauf verzichtet haben.«
»Ist dir auch warm genug, Corinna?«
»Es geht gerade so, Mutter«, sagte Corinna und blickte etwas verängstigt zu Mrs Copeland.
» Ich friere«, sagte Wilfrid, der dazu neigte, jede sich bietende Gelegenheit zum Klagen bereitwillig zu nutzen.
»Dann rennen wir am besten gleich zum Aufwärmen nach unten«, forderte Daphne ihre Kinder munter zur Missachtung der Grundregel Nummer eins des Kindermädchens auf und erhob sich abrupt.
»Nicht zwei Stufen auf einmal, Wilfrid!«, ermahnte Nanny.
»Er ist gut bei mir aufgehoben, das verspreche ich Ihnen«, sagte Daphne.
Auf dem Korridor blieb Wilfrid stehen und fragte: »Bleibt Mrs Cow über Nacht bei uns?«
»Natürlich, Wilfrid!«, sagte Corinna, als wäre sie mit ihrer Geduld am Ende. »Sie und Granny Sawle kommen zusammen mit dem Zug.«
»Sonntag nach dem Lunch bringt Onkel George sie wieder nach Hause«, sagte Daphne und fügte, als sie merkte, dass sie Wilfrids Hand hielt, hinzu: »Und du sei so lieb und bring sie auf ihr Zimmer, wenn sie kommt.«
»Und ich bringe Granny Sawle auf ihr Zimmer«, sagte Corinna und machte es Wilfrid damit schwerer, sich zu drücken.
»Und was macht Wilkes?«, sagte Wilfrid scharfsinnig.
»Ach, Wilkes kann mal die Beine hochlegen und Tee trinken, was meinst du?«, sagte Daphne und lachte entzückt, bis Wilfrid zaghaft in ihr Lachen einfiel.
Die ersten Stufen trotteten sie Hand in Hand und im Gleichschritt hinunter, was ein gewisses Maß an Disziplin erforderte. Dann sah sie vom Fenster auf dem Absatz im ersten Stock aus den Wagen vom Bahnhof zurückkehren. »Sie sind da! Lauft, Kinder!«, sagte sie und ließ ihre Hände los.
»Oh, Mummy«, sagte Wilfrid, vor Aufregung wie gelähmt.
»Komm!«, rief Corinna. Die Kinder stürmten die drei Kehren aus blank polierten Eichenbohlen hinunter, und an der letzten Biegung verlor
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