Fremden Kind
Hausmädchen rasch zu Wilfrid, in der Hoffnung, dass wenigstens er sie nicht gesehen hatte, und wieder zurück zu Sarah, die sie feierlich zu einem offenen Schrank trug.
»Na dann, auf Wiedersehen«, sagte Wilfrid und entfernte sich aus dem Zimmer, als würde er nicht damit rechnen, Mrs Cow je wiederzusehen.
Draußen auf dem Flur, wieder allein, wurde er das Gefühl nicht los, dass er etwas hätte sagen sollen. Im Vorbeigehen fuhr er mit der Hand die Buchrücken im Regal entlang, was ein gedämpftes, gleichmäßiges Tappen erzeugte. Sein Unbehagen verbarg er hinter Unbekümmertheit, obwohl niemand ihn sah. Er hatte getan, was man ihm aufgetragen hatte, er war überaus liebenswürdig zu Mrs Cow gewesen; doch was ihn quälte, war verletzender und unheimlicher: Er war dazu aufgefordert worden von einem, der wusste, dass das falsch war, und doch so tat, als sei es richtig. Drei Zehen am linken Fuß seines Vaters waren von einer deutschen Granate zerfetzt worden, und der Mann, den Onkel Cecil zu nennen man ihm beigebracht hatte, war eine kalte weiße Marmorstatue unten in der Kapelle – wegen eines deutschen Scharfschützen. Wilfrid rannte den Flur entlang, vorerst frei, von keinem Erwachsenen behelligt, seine Angst, sich zu verspäten, überrollt von dem blinden Verlangen, sich zu verstecken. Er lief am Zimmer seiner Großmutter vorbei, um die Ecke, bis er zur Wäschekammer gelangte, hineinging und die Tür hinter sich schloss.
3
N imm dir was zu trinken, Duffel«, sagte Dudley leutselig, als wäre sie ein Gast unter vielen.
»Wir trinken Manhattans«, sagte Mrs Riley.
»Oh«, sagte Daphne, sah weder sie noch ihn an, schritt aber demonstrativ gelassen durch den Raum. Noch immer kam sie sich ausgesprochen merkwürdig vor, wenn sie den »neuen« Salon betrat, wie ein Versuchskaninchen; und mit Mrs Rileys Anwesenheit im Raum war alles noch merkwürdiger. »Sollen wir nicht auf Mutter und Clara warten?«
»Ach, ich weiß nicht«, sagte Dudley. »Eva hatte Durst.«
Mrs Riley stieß ihr knappes rauchiges Lachen aus. »Woher kennen Sie eigentlich diese Mrs … ähm?«, fragte sie.
»Mrs Kalbeck? Sie war unsere Nachbarin in Middlesex«, antwortete Daphne und inspizierte mürrisch die Flaschen auf dem Tablett. Obwohl sie nicht nur Manhattans, sondern auch Manhattan mochte, seit sie wegen Dudleys Buch einmal dort gewesen waren, mixte sie sich jetzt einen Gin mit Dubonnet.
»Sie scheint mir ziemlich … ähm …«, zelebrierte Mrs Riley ihre Bosheit.
»Ja, sie ist ein Schatz«, kürzte Daphne ab.
»So oder so, sie ist eine enorme Bereicherung für jede Gesellschaft«, sagte Dudley.
Daphne lächelte verkniffen. »Die arme Clara hatte es sehr schwer im Krieg.« Es war der Spruch, den ihre Mutter öfter zur Verteidigung ihrer Freundin anbrachte und der jetzt fast so ironisch klang wie Dudleys vorherige Bemerkung. Sie hatte Clara nie sonderlich gemocht, aber die alte Frau tat ihr leid, und da sie beide Brüder hatten, die im Krieg gefallen waren, spürte sie eine gewisse Verbundenheit.
»Warten Sie erst mal ab, bis sie den Ritt der Walküren singt«, sagte Dudley.
»Oh, kann sie das?«, sagte Mrs Riley.
»Sie liebt Wagner«, sagte Daphne. »Sie müssen wissen, sie hat meine Mutter vor dem Krieg nach Bayreuth mitgenommen.«
»Armes Ding …«, sagte Mrs Riley.
»Sie hat sich nie wieder richtig erholt«, sagte Dudley in einem zartfühlenderen Ton, »findest du nicht, Duffel, ich meine, deine Mutter.«
Mrs Riley gluckste erneut, und jetzt sah Daphne sie an: So also lachte Mrs Riley, den Kopf leicht nach hinten gebeugt, die Oberlippe gespannt, schnaufend blauen Dunst ausstoßend, eine mehr oder weniger großzügige Geste ebenso sehr wie ein Lachen.
»Ich weiß nicht recht«, sagte Daphne stirnrunzelnd, doch war sie sich bewusst, dass ihr Mann unbedingt bei Laune gehalten werden musste. Ein gewisses Maß an Hetze gegen die Sawles musste sie an diesem Wochenende wohl in Kauf nehmen. Sie nahm ihr Glas und ließ sich in einen der niedrigen grauen Sessel fallen, verwundert über seine anhaltende Novität schmunzelnd. Sie überlegte, ob sie je ein kürzeres Abendkleid gesehen hatte als das, was Mrs Riley trug, das im Sitzen bis knapp zu den Knien reichte; oder je etwas Längeres und Schlackernderes als ihre rote Kette, gewiss ebenfalls ihre eige ne Schöpfung. Ihr merkwürdig flacher Körper war geschaffen für Mode, jedenfalls für diese Art von Mode. Ihr scharfkantiges kleines Gesicht, eigentlich nicht mal hübsch, war
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