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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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ist
früher niemand krank geworden…« Er schüttelte den
Kopf, so heftig, als wolle er seinen Gedanken eine neue,
zufällige Ordnung geben. Das Zimmer verschwamm hinter einem
rötlichen Nebel, das Zusammentreffen von Erschöpfung und
Erregung schickte ein Zittern durch seinen Oberkörper. Ayrid sah
ihn besorgt an.
    »Nicht das Wasser. Nein – oder doch. Feuchtigkeit. Diese
Krätze kommt nur in R’Frow vor, und in R’Frow ist die
Luft immer feucht. Was passiert mit entzündeter Haut an einem
trockenen Tag mitten bei Lichtschlaf, draußen in der Savanne?
Die Luft wäre heiß und trocken. Wir könnten das mit
dem Brennofen eines Töpfers testen – die Luft ganz
austrocknen!«
    Ayrid sagte nachdenklich: »Mitten bei
Lichtschlaf…«
    Aber Dahar hörte nicht hin. Seine Gedanken überschlugen
sich. Ein Brennofen würde das kranke Gewebe ausdörren, aber
er würde es auch erhitzen. Angenommen, der Ofen konnte die
Vermehrung der Bakterien hemmen oder die Bakterien sogar töten,
dann stand immer noch nicht fest, ob daran die Trockenheit oder die
Hitze schuld war… Oder beides. Und die Hitze in einem Ofen war
viel zu groß, viel größer als die Hitze bei
Lichtschlaf. Die Phiole mußte richtig plaziert werden; die
richtige Entfernung vom Ofen war die, wo ein Mensch es gerade noch
aushielt, die Luft aber schon völlig trocken war. Und wenn es
weder die Feuchtigkeit noch die Hitze war, dann gab es vielleicht
noch andere Substanzen, mit denen die Haut draußen in
Berührung kam und die es in R’Frow nicht gab. Vielleicht
sorgte die Haut selbst für die Vermehrung der Bakterien, so wie
verwesendes Fleisch nach kurzer Zeit von Würmern wimmelte, die
vorher nicht da waren. Blütenstaub, irgendwas im Regen,
irgendwas von den Pflanzen, die es hier nicht gab, vielleicht von den
Kemburis… es gab nicht eine einzige Kemburi in
R’Frow…
    Er war aufgestanden, und wurde erst jetzt gewahr, daß Ayrid
sitzenblieb. Sie saß ungewöhnlich still da. Er
berührte ihre Schulter. Sie hob das Gesicht. Sie sah irgendwie
abwesend aus, wie jemand, der sich eben erst von der Wirkung des
roten Betäubungslappens erholte. Ihr Blick wanderte zu dem
abgedeckten Auge an der Wand und wieder zu ihm zurück und wieder
zur Wand. Irgend etwas, das es draußen gibt und hier
nicht.
    »Licht«, sagte sie.

 
51
     
    In der Stadtmauer gab es keine Korridore, ein Bereich ging
fließend in den anderen über, so wie die Gefühle und
die Gedanken der Geds ineinander übergingen – ohne
überflüssige Hemmschwelle. Doch Grax, der von einem Bereich
zu einem anderen unterwegs war, war ganz bei sich gewesen, als ihn
das Bibliothekshirn kontaktiert hatte. Er war stehengeblieben,
ließ die Arme hängen, derweil das dritte Auge unausgesetzt
die leere Decke sondierte.
    Das Bibliothekshirn ließ ihn die beiden Menschenstimmen
hören, die kaum gedämpft wurden durch die Textilien
über dem Sensor: Ayrids nachdenkliche Stimme, deren etwas
höhere Tonlage er zum erstenmal bewußt als unangenehm
empfand; Dahars dunklere Stimme, die einem angenehmen Grollen noch am
nächsten kam, aber durch widersprüchliche Emotionen
aufgerauht wurde. Beide Menschen unfähig, Harmonie zu
verbalisieren, grammatisch unpräzise, verantwortungslos im
Umgang mit der Sprache, ohne Sinn für Ordnung, welche die
Grundlage der Moral war.
    Dennoch…
    Intelligenz. Mathematisch-logische Intelligenz in der ganzen
unvorstellbar verworrenen Kette von Argumenten. Dahar und Ayrid
konnten unmöglich zu dem Ergebnis kommen, daß es sich bei
dem fraglichen Krankheitserreger um ein ›Virus‹ handelte
– dazu fehlte ihnen die Ausstattung, dazu fehlte ihnen die
Theorie, dazu fehlte ihnen das Wissen, um das, was ihnen fehlte, zu
entwickeln. Doch während Grax ihnen zuhörte, schoben Ayrid
und Dahar mit den Barrieren ihres Wissens herum – alle Ordnung
und Folgerichtigkeit ignorierend –, um hinter die Ökologie
eines Virus zu kommen, von dessen Struktur sie keine Ahnung hatten.
Die Erfordernisse einer Existenz ergründen, bevor man die
Existenz beschreiben konnte – was war das für eine
vertrackte Art zu denken? Grax konnte den bizarren
Gedankengängen zwar folgen, aber es war undenkbar, daß ein
Ged von sich aus so dachte. Das war, als versuche man, eine Waffe zu
konstruieren, um die Bewohner eines Planeten zu unterwerfen, den man
noch gar nicht entdeckt hatte. Solche Denkprozesse vergeudeten Zeit
und Kraft, sie waren unharmonisch und frustrierend – sie
führten zu nichts.
    Oder dazu, daß Dahar und

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