French, Tana
»Wenn er nicht drüber reden will, kann er es
ja sagen. Francis, warum bist du nicht schon früher mal vorbeigekommen?«
Ich sagte:
»Ich hatte Schiss, Ma würde den Holzlöffel nehmen und mich nach Strich und
Faden verhauen. Ist doch verständlich, oder?«
Shay
schnaubte. Carmel sagte: »Ach komm, im Ernst, Francis. Warum?«
Sie und
Kevin und sogar Jackie - die mich das schon x-mal gefragt hatte, ohne je eine
Antwort zu bekommen - blickten mich an, beschwipst und verwundert und sogar ein
wenig verletzt. Shay fischte irgendeinen Krümel aus seinem Bier.
Ich sagte:
»Ich will euch was fragen. Wofür würdet ihr sterben?«
»Jesses«,
sagte Kevin. »Du bist echt eine Spaßkanone, was?«
»Ach, lass
ihn«, sagte Jackie. »Gerade heute.«
Ich sagte:
»Dad hat mal zu mir gesagt, er würde für Irland sterben. Würdet ihr das auch?«
Kevin
verdrehte die Augen. »Dad ist in den Siebzigern hängengeblieben. So denkt doch
heute keiner mehr.«
»Komm,
überleg doch mal. Einfach so. Ja?« Er sah mich verwirrt an. »Wieso sollte ich
für Irland sterben wollen?«
»Sagen
wir, die Engländer marschieren wieder ein.«
»Denen
gehen wir doch am Arsch vorbei.«
»Nur mal
angenommen, Kev. Komm, sag schon.«
»Keine
Ahnung. Hab ich nie drüber nachgedacht.«
»Das«,
sagte Shay, nicht besonders aggressiv, und zeigte mit seinem Glas auf Kevin,
»genau so was hat dieses Land zugrunde gerichtet.«
»Ich? Was
hab ich denn gemacht?«
»Du und
alle anderen von deiner Sorte. Deine ganze verdammte Generation. Was
interessiert euch denn schon, bloß Rolex-Uhren und Hugo Boss? Worüber macht ihr
euch sonst noch Gedanken? Francis hat recht, ausnahmsweise mal. Du solltest dir
wirklich was zulegen, wofür du sterben würdest, Kleiner.«
»Verdammt
nochmal«, sagte Kevin. »Wofür würdest du denn sterben? Guinness? Eine tolle
Nummer?« Shay zuckte die Achseln. »Familie.«
»Was
redest du denn da?«, fragte Jackie. »Du kannst Ma und Dad nicht ausstehen.«
Alle fünf
prusteten wir los. Carmel musste den Kopf in den Nacken legen und sich mit den
Fingerknöcheln Tränen aus den Augen wischen. »Stimmt«, gab Shay zu, »ja. Aber
darauf kommt's nicht an.«
»Würdest
du für Irland sterben, ja?«, fragte Kevin mich. Er klang noch immer etwas
angesäuert.
»Ich bin
doch nicht bescheuert«, sagte ich, was wieder eine Lachsalve auslöste. »Ich war
mal 'ne Zeit lang in Mayo County stationiert. Wart ihr mal in Mayo? Nur
Provinzler, Schafe und Landschaft. Für so was sterbe ich nicht.«
»Und für
was dann?«
»Wie der
gute Shay vorhin gesagt hat«, erwiderte ich und schwenkte mein Glas in Richtung
Shay, »es kommt darauf an, dass ich es weiß.«
»Ich würde
für die Kinder sterben«, sagte Carmel. »Gott behüte.«
Jackie
sagte: »Ich glaube, ich würde für Gav sterben. Aber nur, wenn er wirklich drauf
angewiesen wäre. Ist das Thema nicht furchtbar depressiv, Francis? Sollen wir
nicht lieber über was anderes reden?«
Ich sagte:
»Damals wäre ich für Rosie Daly gestorben. Das will ich euch eigentlich sagen.«
Stille
trat ein. Dann hob Shay sein Glas. »Trinken wir auf alles, wofür wir sterben
würden«, sagte er. »Cheers.«
Wir
stießen an, nahmen tiefe Schlucke und lehnten uns wieder entspannt zurück. Ich
wusste, es hatte womöglich damit zu tun, dass ich zu neun Zehntel
stockbetrunken war, aber ich freute mich richtig, dass sie da waren, selbst
Shay. Mehr noch: Ich war dankbar. Sie mochten ein verkorkster Haufen sein, und
was sie über mich dachten, sei dahingestellt, aber die vier hatten einfach
alles stehen- und liegengelassen, ihr Leben von jetzt auf gleich unterbrochen,
um hierherzukommen, um mir heute Abend Gesellschaft zu leisten. Wir passten
zusammen wie Puzzleteilchen, und das gab mir das Gefühl, von einem warmen,
goldenen Licht umhüllt zu sein; als wäre ich durch irgendeinen vollkommenen
Zufall genau an den richtigen Ort geraten. Ich war gerade noch nüchtern genug,
um nicht den Versuch zu unternehmen, das in Worte zu fassen.
Carmel
beugte sich zu mir und sagte fast schüchtern: »Als Donna noch ganz klein war,
stimmte irgendwas mit ihren Nieren nicht. Die Ärzte dachten, sie brauchte
vielleicht eine Transplantation. Ich hab sofort gesagt, sie könnten meine haben,
alle beide, kein Problem. Ich hab keine Sekunde gezögert. Am Ende war dann mit
ihr doch alles in Ordnung, und sie hätten ja sowieso nur eine gebraucht, aber
ich hab das nie vergessen. Weißt du, was ich meine?«
»Ja«,
sagte ich und
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