Frettnapf: Roman
seit er weiß, dass er Großvater wird. Sie geht davon aus, dass er sich einen zweiten Frühling wünscht, sein spätherbstliches Alter ihm aber einen Strich durch die Rechnung macht. Natürlich ist auch mir aufgefallen, wie ungeniert er meine Verlobte angeflirtet hat. Ich hatte das als schwiegerväterliches Freundschaftsgebaren abgetan. Jetzt erfahre ich, dass er Mama gegenüber immer verschlossener und mürrischer wird, mindestens einmal die Woche einen Abend unterwegs ist und sogar beim Friseur war. Dieser Affront setzt ihr wohl am meisten zu, hat er sich doch über dreißig Jahre seine Haare von ihr schneiden lassen und immer über die unverschämten Preise der Haar- und Halsabschneider geschimpft, bei denen sie sich die Frisur machen ließ, um ihm zu gefallen.
» Soll ich mal mit ihm reden?«, biete ich ihr an, obwohl mir kaum etwas unangenehmer sein könnte, als mit meinem Vater über eine eventuelle Lebenskrise zu sprechen, da er so oder so alles auf mich projizieren wird.
» Das wäre ganz lieb. Ich mach dir auch einen Scheiterhaufen«, bietet sie im Gegenzug an, und ich bringe es nicht übers Herz, ihr zu verraten, dass ich diese Nachspeise schon als Kind ekelhaft fand. Diese erwärmte Pampe aus gammligen Semmeln, grenzwertigen Äpfeln, ausgetrockneten Trauben, Milch und Ei, die Mama nie süß oder vanillig genug hinbekommen hat, um sie halbwegs genießbar zu machen. Schon der Gedanke an diese Belohnung lässt mich bedauern, ihr etwas Gutes tun zu wollen. Allerdings hätte ich damit rechnen müssen, da sie sich auf freundlich gemeinte Angebote zuverlässig mit etwas revanchiert, das dem gebrachten Opfer auch nicht im Geringsten das Wasser reichen kann. Insofern werfe ich mir nun schon zwei Dinge vor: dass ich mich in die Eheprobleme meiner Eltern einmischen möchte und dass ich meiner Mutter mit fünf Jahren gesagt habe, wie lecker ich ihren Scheiterhaufen finde, weil sie so traurig darüber war, dass Papa seinen Teller nach dem ersten Bissen kommentarlos weggestellt hatte. So richtig top-harmonisch war’s bei uns zu Hause eigentlich nie.
Bevor ich mich jedoch ins Dachgeschoss verdrücken kann, will Mama natürlich noch die pikanten Details meiner Krise mit Jessi erfahren. Ich bemühe mich, möglichst ausweichend zu antworten und sage ihr, dass ich halt meinen Scheiß geregelt bekommen muss.
» Was meinst du mit deinem Scheiß?«
» Na, alles halt.«
» Ah, geh. Die Jessi wird doch nicht von heute auf morgen alles an dir schlecht finden.«
» Nein, das nicht. Aber zum Beispiel die Sache mit dem Job. Ich versuch ja, da ein neues Konzept zu erarbeiten, aber das ist nicht so leicht.«
» Dann ist die Idee nicht gut. Und vielleicht auch nicht das, was ihr als Grundlage für eure Familie braucht’s. Vielleicht hat sie einfach keine Lust mehr drauf, dich immer wieder daran zu erinnern, dass deine Tochter geboren wird und dass es daran nichts mehr zu rütteln gibt. Du wirst Papa.«
» Ich weiß.«
» Warum handelst du dann nicht entsprechend? Warum brauchst du überhaupt ein Konzept für deinen Job? Warum kannst du nicht einfach arbeiten?«
» Ich kann ja, also…«, stammle ich, und kann eigentlich gar nichts, was ich meiner Mutter aber jetzt nicht unter die Nase reiben will. Denn dann müsste ich auch damit beginnen, mich zu rechtfertigen, was am Ende dazu führen würde, dass ich sie und Papa beschuldige, mich nicht zur rechten Zeit an der Hand genommen und mir erklärt zu haben, wie das mit dem Arbeiten in unserer Gesellschaft funktioniert. Da ist es besser, einfach nichts mehr zu sagen und die Küche zu verlassen.
» Hat dich deine Mutter geschickt, oder kommst du aus eigenen Stücken hier hoch?«, meckert mein Vater mich an, als ich sein Refugium unter dem Dach betrete. Dies ist sein Reich, hier darf er mürrisch sein. Ich muss ihn eigentlich in Schutz nehmen, weil er wirklich ein äußerst großzügiger und guter Kerl ist– nur, wenn er genervt oder überreizt ist, wird er ausfallend und unausstehlich.
» Ist das so wichtig?«
» Nein. Magst ein Bier?«
» Bitte.«
Er steht von der Ausziehcouch auf, die ihm inzwischen auch als Bett dient, da Mama angeblich schnarcht, geht zu dem kleinen Kühlschrank, den ich ihm vor drei Jahren zu Weihnachten geschenkt habe, und nimmt zwei kleine Tegernseer Helle heraus.
» Die Partyflaschen, nicht schlecht«, lobe ich, was er ignoriert. » Prost.«
Nachdem er sein Bier in ein Glas geschenkt hat, stoßen wir an, trinken und schweigen. Erst als Papa zur
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