Frettnapf: Roman
unser komischer Hausmeister/Praktikant/Putzmann«-Charakter ins Lokalradio.
» Laber nicht, komm einfach«, hat Hondo meinen Diskurs beendet. » Die lassen da alle rein, nur keine Neonnazis.«
Tatsächlich sitzt er an der Bar, in » Tewje, der Milchmann« vertieft, als ich das Lokal betrete. Er trägt eine Kippa und blickt mild lächelnd zu mir auf. Meinen Armeerucksack hingegen beäugt er skeptisch, sagt aber nichts dazu. Vermutlich empfindet er ihn als kleine Provokation, wogegen ich nichts einzuwenden hätte.
» Schalom, mein Freund«, sagt er leise und öffnet seine Arme. Ich lasse mich von ihm drücken und küssen, bestelle jedoch gleich darauf einen Single Malt, um das Vergangene zu vergessen und dem Bevorstehenden gegenüber gleichgültig zu werden.
» Gutes Buch, kann ich dir leihen. Wir Juden leihen gerne.«
» Ich weiß, Hondo.«
» Wenn du das liest, wirst du uns verstehen.«
» Wenn du mit uns die gesamte jüdische Gemeinschaft meinst, muss ich dich daran erinnern, dass du noch nicht dazugehörst.«
» In Kopf und Herz schon.«
» Dann ist ja alles in Ordnung«, antworte ich und warte auf meinen Drink. Dieser neue Hondo ist mir äußerst suspekt, oder nicht ganz koscher, wie er sicherlich sagen würde. Er spricht anders, wirkt ganz entspannt und ruhig, als wäre er ein anderer Mensch. Es gibt genügend Filme, in denen zwielichtige Gestalten auf der Flucht vor dem Gesetz in liturgische Gewänder schlüpfen, um als Pfarrer in einer Gemeinde oder einem Kloster Unterschlupf zu finden. Irgendwann fliegen sie dann auf, sind aber geläutert, und irgendwie wird alles gut. Bei Hondos kleinem Schauspiel habe ich jedoch die böse Vorahnung, dass am Ende alles schlecht wird. Was mir allerdings nicht sonderlich wichtig ist, da ich seine Hilfe brauche. Im für ihn schlimmsten Fall hätte ich dann sogar die Möglichkeit, ihn wieder aufzubauen und mich so zu revanchieren.
» Pass auf, Hondo, ich hab ein Problem. Meine Eltern, na ja, die sind schwierig. Ich kann bei denen nicht wohnen. Irgendwie kommen da zu viele Erinnerungen hoch, die ich in meiner momentanen Verfassung nicht gebrauchen kann.«
» Und deswegen kommst du jetzt zu mir. Der dumme Jude soll mal wieder–«
» Du bist kein… dumm«, versemmele ich meine Antwort. » Aber, ja, wenn es geht, wäre es sehr nett, wenn ich für ein paar Nächte bei dir schlafen könnte.«
» Logo. Ich hab aber Gegenbitte.«
» Natürlich zahl ich Miete.«
Doch darum geht es ihm gar nicht. Konspirativ beugt er sich zu mir und flüstert mir sein Anliegen zu: » Du musst mir helfen. Mit dem Judenzeug. Am besten wäre es, wenn du einfach mitmachst.«
Sicher. Ich werde einfach auch konvertieren, vom Agnostizismus zum Judentum. Wobei ich ohnehin einen schlechten Agnostiker abgebe. Es ist einfach nur die unkomplizierteste Methode, sich von jeglichem Glaubensbekenntnis freizusprechen. Eine Zeit lang habe ich sogar versucht, mich als Atheist durchzuschlagen, wurde aber ständig von allen Seiten mit bohrenden Fragen gelöchert, wie ich mir dann die Welt, das Leben und all das erkläre. Fragen, auf die ich keine Antworten hatte, da mir selbstverständlich die Muße fehlte, mich mit meinem Unglauben intensiv auseinanderzusetzen. Da lag die Entscheidung für die gemütliche Agnostikvariante auf der Hand. Ich bin ein Schon-möglich-Glauber, denn ich kann halt nicht ausschließen, dass es eine höhere Gewalt gibt, ein Leben nach dem Tod, eine Hölle für Katholiken, die gelogen haben, und neunundneunzig Jungfrauen für jeden, der sich im Namen des Propheten in die Luft sprengt.
Hondo reicht mein Jein zum Thema Glaube natürlich nicht, und so muss ich mir eine gefühlte Ewigkeit seine Ausführungen über die Weltreligionen anhören. Immer noch besser, als mit einem undefinierbaren Schuldgefühl im Wohnzimmer meiner Eltern auf der Couch aufzuwachen. Und erheblich amüsanter. Vor allem bei der asischen Religion Buddhingsmus kommt mein slawischer Freund schwer ins Schleudern. Natürlich ist es lächerlich, sich darüber zu amüsieren, dass der Gesprächspartner mit Fremdwörtern, oder in diesem Fall mit einem Namen, nicht zurechtkommt. Auf der anderen Seite hat er es nicht besser verdient, wenn er sich schon als Glaubenskenner aufspielt und alle Religionen ablehnt, in die es viel zu einfach ist, reinzukommen.
» Shaolinmönch geht, weil’s cool ist, aber ist halt auch nur Buddhingsmus mit Kämpfen. Da kannst du auch katholisch sein und Kreuzritter werden. Bleibt also nur das
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