Frettnapf: Roman
geöffnet. Ich sehe jetzt nicht mehr das, wo man von außen sieht, sondern das, wo innen ist.«
» Ist das deine Freundin?«
» Frau. Freundin ist keine Bezeichnung dafür, wenn du es ernst meinst.«
» Konsequent wäre es, dann auch ›für sie‹ zu sagen.«
» Für was?«
» Egal. Und Aylin hat dir auch erklärt, was Jessi und mich gerade retten könnte?«
» Vielleicht.«
» Und das wäre?«
» Geduld. Erst Wohnung.«
Von der Küche geht es in ein Esszimmer, und ich frage mich sofort, wie Hondo sich diese Möbel leisten konnte. Überhaupt wundert es mich, wie stilsicher das hier alles eingerichtet ist. Ich tippe blind auf Aylin und liege damit goldrichtig.
» Die hat eben Style.«
» Und wer hat das alles gezahlt?«
» Wer wohl, du Pisser?«
Endlich habe ich den Schalter entdeckt, mit dem ich den alten Hondo aktivieren kann– seinen Stolz. Und davon hat er genug.
» Wir wissen eben, wie man Geschäfte macht«, setzt er an, um sich gleich darauf zu korrigieren. » Also, ich. Weil die Kohle, die kommt über einen Freund, der’s halt checkt. Ist aber Muselmann.«
» Muslim.«
» Ey, ich war selber, ich darf die nennen, wie ich will. Das ist wie in Bronx, da sagen die auch–«
» Und der hat dir die Einrichtung bezahlt?«, unterbreche ich Hondo, da ich ahne, worauf er hinauswill.
» Nein, der hat mir halt Tipp gegeben. Wenn du auch Kohle brauchst, kann ich dir den mal vorstellen. Ist korrekt.«
» Gerne. Was macht der?«
» Fußballwetten und so. Aber nicht so tussimäßig Toto, sondern echt.«
War ja klar, dass der ehemalige Anabolika-Verchecker keinen neuen legalen Weg entdeckt hat, die finanziellen Mittel bereitzustellen, um eine Wohnung derart exquisit einzurichten. Er hat mich in sein Wohnzimmer geführt, in dem eine weiße Designercouch vor einem Designertisch steht, und von der aus man auf sein Entertainmentcenter schauen kann, das aus einem unfassbar großen, wahnsinnig dünnen Fernseher besteht, unter dem sich diverse Geräte und Spielkonsolen tummeln. Apple TV , Blu-ray- und DVD -Spieler, Xbox, Playstation– alles friedlich vereint und ordentlich verkabelt. Ich todsündige erneut. Auf der anderen Seite ist mir bewusst, dass ich dieses Zimmer meiden werde, da ich mich zu leicht dazu hinreißen lasse, ganze Nachmittage damit zu verbringen, Totalschrott im TV zu sehen oder auf einen Playstation-Controller einzuhämmern.
Vorbeugend verzichte ich sogar darauf, die Spiele durchzusehen, gehe schnurstracks in den angrenzenden Raum und betrete endlich das, was am ehesten nach Gästezimmer aussieht. Zumindest steht hier eine Ausziehcouch, die schon für einen Besucher vorbereitet ist.
» Und das ist dann mein Zimmer?«
» Nein. Da pennt Sven.«
» Wie?«
» Ja, wegen seiner Wohnung, die wo er doch frei machen muss. Wegen den Fahrraddeppen.«
» Und wo ist Sven jetzt?«
» Bin ich seine Supernanny, oder was?«
Nein, ist er nicht. Aber meine, wenn ich es mir recht überlege. Ich bekomme von ihm ein Dach über dem Kopf, er bietet mir mit seiner Freundin kostenlose Beziehungsberatung an, fehlt nur noch, dass er mir auch Ratschläge gibt, wie ich meine Jobsituation geregelt kriege.
» Kannst ja mal bei Olympiabad fragen, vielleicht suchen die Bademeister. Du warst ein guter Assistent in Schyrenbad.«
Super. Ich hab mal wieder laut gedacht.
Jobmesse
»Die job40plus legt ihren Fokus gezielt auf erfahrene, qualifizierte Arbeitnehmer. Dabei ist die ›40‹ allerdings nicht in Stein gemeißelt.«
Es ist sechs Uhr in der Früh, als ein Rumpeln auf dem Gang meine erfolglosen Einschlafversuche beendet. Die letzten drei Stunden habe ich mich in dem aufblasbaren Kajak gewälzt, das Hondo für mich in seine Bibliothek geschleppt hat und das mir als Bett dienen soll. Allein die Tatsache, dass sich Hondo eine Bibliothek einrichtet, hat mich mindestens eine Stunde lang beschäftigt, eine weitere ging drauf, als ich mir die Bücher durchgesehen habe, die in den Regalen stehen. Zum einen hat er eine ganz ordentliche Auswahl an Literatur von und über seine angestrebte neue Konfessionsgruppe, dazu aber erschreckend viele Seichtromane, sprich, pilchereske Liebesgeschichten. Der dritte und weitaus größte Teil des Lesestoffs besteht aus esoterischem Totalquatsch.
Ich habe mir schließlich » Jüdische Welt verstehen: Sechshundert Fragen und Antworten« von Rabbi Alfred Kolatch geschnappt und mich in mein Kanu gelegt. Es ist überraschend bequem und verliert im Gegensatz zu einer herkömmlichen
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