Frettnapf: Roman
Schlafluftmatratze auch keine Luft. Hondo will sich darin mit Aylin im Sommer von Bad Tölz bis nach München die Isar entlangtreiben lassen und hat mich vorsorglich gewarnt, dass ich in diesem Fluss treiben werde, falls das Teil kaputtgeht. Entsprechend behutsam bin ich in meine Amphibienschlafstätte gestiegen. Natürlich auch deshalb, weil ich nicht sicher war, wie stabil so ein Kajak im Raum steht.
Ich habe mich durch die ersten Fragen des Rabbiners gelesen, war aber unzufrieden mit der Antwort auf die Frage, warum jeder Sohn einer jüdischen Frau am achten Tag beschnitten werden muss (weil’s sich so gehört), und habe dann doch lieber durch das große Fenster in die wolkenfreie, kalte Nacht gestarrt.
Nur wenige Minuten vergehen, bis ich mich nicht mehr gegen den Gedanken wehren kann, dass mich Jessi vor die Tür gesetzt hat und nicht einfach alles gut werden wird. Um genau zu sein, habe ich mich selbst vor die Tür gesetzt, in meiner blinden Verzweiflung. Aber wie sollte ich bitte ahnen, dass sie einfach nur ein paar Tage für sich gebraucht hat? Okay, sie hatte das gesagt, aber ich bin aus meinen früheren Beziehungen nicht gewohnt, zu hören, was tatsächlich Sache ist. In den dreiundzwanzig Jahren meines intensiveren Austauschs mit dem anderen Geschlecht habe ich nämlich gelernt, dass es einen Code gibt, und akzeptiert, dass man ihn als Mann nicht verstehen kann. Wir sind immer diejenigen, die verlieren und als Idioten dastehen, egal, wie sehr wir uns bemühen. Komiker wie Mario Bartsch (oder so) machen sich das zunutze, verdienen Millionen, indem sie die abgedroschensten Halbwahrheiten in die altbackensten Klischees des Mann-Frau-Dilemmas verwitzeln (Kennste? Kennste?). Das sorgt zwar für gefüllte Stadien und gigantisches Massenbeömmeln, bringt aber niemanden weiter. Würden die Clowns nur mal einen einzigen Satz bringen, eine Formel, einen Ansatz, wie dem niemals enden wollenden Missverstehen nachhaltig entgegengewirkt werden könnte, ich stünde in der ersten Reihe.
Tatsache ist nun aber, dass ich gerade planlos ungefähr zwei Kilometer von meiner Verlobten entfernt in einem Gummiboot liege und noch immer nicht begreife, was in den vergangenen Tagen geschehen ist. Ich habe mit meiner lächerlich primitiven männlichen Logik dafür gesorgt, dass meine noch nicht geschlossene Ehe bereits extrem gefährdet ist. Und damit meine Vaterschaft. Auf der anderen Seite habe ich durch meine radikale Ehrlichkeit Jessi gegenüber nur beweisen wollen, dass ich sie liebe. Nackter als ohne all die schützenden Lügen um sein Ich kann man doch nicht sein. Erst so zeigt sich der Pimmel, der man eigentlich ist.
Ich habe ihr mein wahrscheinlich übertrieben schlechtes Selbstbild präsentiert und ihrem Bild von mir damit eine höchst unattraktive Schattierung verpasst. Schließlich muss sie mich anders gesehen haben als ich, sonst wäre ihre Liebe zu mir gar nicht möglich gewesen. Womit ich schon bei einem weiteren Problem bin: Ich muss jemanden finden, der mir wirklich helfen kann, der mich kennt und nicht mit so unvorstellbar dämlichen Sprüchen wie » Du musst dich selbst lieben, um geliebt zu werden« ankommt. Ich habe mich immerhin mein ganzes Leben lang nicht sonderlich gemocht und wurde dennoch geliebt. Glaube ich.
Gegen halb drei in der Früh kann ich Jessis Reaktion endlich nachvollziehen. Sie ist keineswegs irrational und kann deswegen auch nicht mit den kleinen Aussetzern in einen Topf geschmissen werden, die Jessi in den vergangenen Monaten hatte. Plötzliche Heulkrämpfe, Schlaflosigkeit, unfassbarer Hunger auf geräucherte Saiblinge– die typischen Symptome der hormonellen Umstellungen während einer Schwangerschaft. Nein, ich Depp habe eine weitaus bedeutendere Beziehungsmisere ausgelöst als diese lächerlichen Hormone. Jessi stellt immerhin unsere gemeinsame Zukunft infrage. So verstehe ich das zumindest.
Dass ich kein guter Fang in Sachen Einkommen und Sicherheit bin, sollte ihr dennoch von Anfang an klar gewesen sein. Und das mit der Hochzeit war ihre Idee. Ich wäre überhaupt nicht darauf gekommen, einen solch großen Schritt vorzuschlagen. Es war schon überraschend genug für mich, dass sie sich überhaupt mit mir eingelassen hat. Mit ihrem nicht nachvollziehbaren Vertrauen darauf, dass ich eine kleine Familie ernähren könnte, ist es nun allerdings vorbei. Und wenn ich das irgendwie wiederherstellen möchte, muss ich jetzt wirklich was machen. Totstellen ist keine Lösung. Leider.
Andere
Weitere Kostenlose Bücher