Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
–, konnten auch junge Mädchen Arbeit finden.
Für einen Teil meines Geburtstagsgeldes hatte ich mir eine Zugkarte für eine Fahrt über die italienische Grenze geleistet. Dass ich keinen Pass hatte, würde im Zug viel weniger auffallen als in einem Auto, war meine Überlegung gewesen.
Der Herdwecker klingelte. Ich stand auf und drehte das Gas ab.
Ich hatte es daheim unerträglich gefunden. Ich fühlte mich nicht respektiert, behandelt wie ein kleines Kind, dem niemand zuhört. Außerdem hatte ich immer schon eine Menge Phantasie. Ich weiß noch, dass ich in Süditalien über meine Flucht und mein neues Leben ein Buch schreiben wollte. Ich war mir sicher, dass es ein Bestseller werden würde. Ich malte mir aus, wie ich, reich geworden, meine Eltern besuchen und ihnen verzeihen würde. Und sie würden mich achten und mit mir wie Freunde reden. Und dann würde ich wieder in mein wunderschönes weißes Haus am Strand zurückkehren.
Leider wurde ich schon an der Grenze geschnappt. Eine allein reisende Dreizehnjährige war ziemlich auffällig. Man setzte mich in einen Warteraum und einige Stunden später kam mein Vater mit dem Auto. Mein Vater war zu dieser Zeit Landesrat, ein bekannter Provinzpolitiker. Mit zuckersüßer Stimme erzählte er den Bahnbediensteten irgendwelche Lügengeschichten über mich. Im Auto allerdings bekam ich dann ein paar schallende Ohrfeigen. Und mir war klarer denn je, warum ich weg hatte wollen. Komisch, als ich meinen Vater letzte Weihnachten auf diese Episode von vor über einem Vierteljahrhundert ansprach, konnte er sich an fast nichts mehr erinnern. An die Ohrfeigen schon gar nicht. Er behauptete doch glatt, ich hätte zu meiner Tante nach Niederösterreich fahren sollen und sei versehentlich in den falschen Zug gestiegen. Ich weiß es besser. Ich tunkte ein Sushi mit Oktopus in die Sojasauce.
Aber die Tote im Freud-Museum war mindestens zwanzig, normalerweise kein Alter, in dem man noch vor seinen Eltern davonlief. Der große Teller mit Sushi und Maki war nun leer. Ich trank mein drittes Glas Wein aus. Ein Rheinriesling, wie er sein sollte: fruchtig und trotzdem trocken, kühl und leicht.
Gismo stieß unsanft mit ihrem Kopf gegen mein Schienbein. Ich kraulte sie am orangeroten Streifen, der sich über ihre Brust zog. Sie starrte mich mit ihren gelben Augen an. „Du hast dein Abendessen schon gehabt“, sagte ich und die Worte hallten von den Küchenregalen zurück. Wahrscheinlich wurde ich schön langsam verrückt. Der erste Schritt war, laut mit der eigenen Katze zu reden und sich dabei zuzuhören. Gismo jedenfalls fand daran nichts Bedenkliches, sie begann zu schnurren und rieb ihren dicken Kopf an meinen Beinen. Ich wusste, was sie wollte.
Also ging ich zum Kühlschrank und nahm das Glas mit den schwarzen Oliven heraus. Gismos Schnurren wurde lauter und tiefer. Ihre Schnurrbartspitzen vibrierten vor Erregung. Ich legte eine Olive auf den Küchenfußboden und sie begann begeistert und noch immer unter lautem Schnurren das Fleisch vom Kern zu nagen. Wir haben eben alle unsere Marotten. Gismos Marotte waren schwarze Oliven. Ich hatte allerdings gelernt, dass es gefährlich war, sie Oliven aus meiner Hand fressen zu lassen. In ihrer Gier unterschied sie bisweilen nicht so genau zwischen Oliven und Menschenfleisch.
Der Druck im Kochtopf war inzwischen gesunken, ich hob den Deckel und Hummerduft strömte mir entgegen. Ich seihte den intensiven Sud ab und brachte ihn noch einmal zum Kochen. Etwas Salz, und dann wurde für einige wenige Minuten der rohe Hummerschwanz eingelegt.
Im Fernsehen liefen die Spätnachrichten. Ich drehte den Ton laut genug, um auch in der Küche zuhören zu können. Ein Erdbeben in Asien, ein Flugzeugabsturz in Südamerika und bei uns wollte die Regierung so lange sparen, bis es kein Budgetdefizit mehr gab. Das heißt, wir alle sollten sparen, damit die Regierung dann irgendwann verkünden könnte, sie habe das Defizit abgeschafft. Dumm für die Leute, die nichts mehr hatten, was sie sparen konnten. Politik ging mir auf die Nerven. Unsere Regierung noch mehr. Und Medien, die politische Entscheidungen einfach als natur- oder besser: gottgegeben annahmen, nervten besonders. Nichts über die Tote im Freud-Museum.
Ich fischte den Hummerschwanz heraus und kühlte den Topf mit dem Hummersud durch kaltes Wasser im Abwaschbecken. Gelatine einweichen. Eine Form mit Klarsichtfolie auslegen.
Dieser Ministerialrat Bernkopf war ausgesprochen anmaßend. Und wie die
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