Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
Theodore Marvin gehört. Blieb nur mehr das Museum. Wieder ein Museum.
Im Eingangsbereich hingen die Porträts der Spender des Museums, kaum zur Überraschung waren es vor allem Menschen mit dunkler Hautfarbe. Eine elegante Frau kam auf mich zu. „Der Eintritt in unser Museum, das den Menschen in Zentralafrika und ihren Nachkommen hier in New York gewidmet ist, ist frei. Wenn Sie uns aber trotzdem …“
Ich beschloss, mir das Museum bei Gelegenheit anzusehen. Eine andere Geschichte von Vertreibung. Ein anderes Stück Vergangenheit. Jetzt aber stellte ich meine Frage.
Sie zog die Stirn in Falten. „Theodore Marvin, der Name kommt mir bekannt vor. Ganz sicher. Keine Ahnung, ob er früher hier gewohnt hat. Das Museum ist bereits über zwanzig Jahre alt. Ich helfe hier nur aus, zwei Tage in der Woche, ehrenamtlich.“
Ich gab ihr meine Hoteladresse und stand bereits auf der Straße, als sie mir nachkam. „Ich Idiotin, immer sehe ich sein Bild und trotzdem habe ich seinen Namen vergessen. Theodore Marvin ist einer unserer Stifter. Gut möglich, dass er die Wohnung zur Verfügung gestellt hat. Aber darüber gibt es Unterlagen. Kommen Sie mit. Ich glaube, er war in der Zeitungsbranche.“
Theodore Marvin war einer der New Yorker Zeitungsmagnaten gewesen. Vor einigen Jahren hatte er alles verkauft und lebte laut einem Artikel zurückgezogen mitten in New York. Ein Widerspruch in sich. Näher betrachtet, vielleicht doch kein Widerspruch …
Ein Anruf beim Geschäftsführer des Museums brachte mir die Adresse. Piekfein, eines der Apartmenthäuser direkt am Central Park, nur einen Katzensprung vom Metropolitan Museum entfernt. Kein Wunder, dass ich die Adresse ohne großes Zögern bekommen hatte. Wenn er nicht wollte, würde ich Theodore Marvin dort nie zu Gesicht bekommen. Denn in diesen Häusern wachte ein Portier darüber, dass keiner seiner wohlhabenden Arbeitgeber belästigt wurde.
Egal, ich würde es probieren. Und mit Janes Professor, bei dem sie ihre Arbeit über das Freud-Museum schreiben wollte, musste ich auch noch reden. Doch je früher ich nach Wien zurückfliegen konnte, desto besser. Ich hatte eine Menge zu erzählen. Als ich am Central Park entlangging, versprach ich mir, bald wieder einmal nach New York zu kommen. Einfach nur um mir eine Freude zu machen.
Der Portier fuhr mit im Lift nach oben. Das war ein anderer Aufzug als der im Haus der Coopers – Marmorboden, Kristallspiegel und sogar eine mit rotem Samt gepolsterte Bank. Mir war zwar unklar, wer sich auf dem kurzen Weg nach oben setzen wollte, das Ambiente jedenfalls glich einer Miniaturausgabe der Boudoirs französischer Damen im neunzehnten Jahrhundert – oder dem, was sich ein amerikanischer Innenarchitekt darunter vorgestellt hatte.
Der Lift hielt mitten im Vorzimmer von Theodore Marvin. „Salon“ zu sagen wäre angebrachter. Auch hier jede Menge weißer Marmor und im Vergleich zu den Coopers angenehm wenig Möbel. Ein Mann, deutlich über achtzig, kam auf mich zu. Er ging etwas gebückt, aber seine gedrungene Gestalt strahlte Vitalität aus und die hellen grauen Augen blitzten interessiert. Der Portier verschwand.
Er führte mich in einen noch größeren Raum, von dem aus man einen herrlichen Blick über den Central Park hatte. Wir nahmen auf einer beigen Bauhaus-Sitzgruppe Platz: Klare kubische Formen, harte Sitzpolster und dennoch deutlich bequemer als die meisten der so genannten Wohnlandschaften. Ein wunderbar fein gearbeiteter Perserteppich, ein schwarzer antiker chinesischer Schrank. Auch hier viel Platz. Über dieses Apartment hätte ich gerne eine Reportage gemacht. Österreichs Prominente schienen nicht so viel Stil zu haben. Vielleicht aber hatten sie schlicht nicht so viel Geld.
„Seit zweiundsechzig Jahren habe ich nichts mehr von Hanni gehört“, begann er. Er sprach es amerikanisch aus, „Hänni“. „Und jetzt kommen Sie und wollen mir Fragen stellen. Ich bin neugierig.“
„Sie haben seit 1939 nie mehr etwas von ihr gehört?“
„Nein. Ich nahm zwar an, dass sie nicht nach Österreich zurück gegangen ist, das wäre ja Wahnsinn gewesen, aber ganz sicher war ich mir nie. Sie hat sehr darunter gelitten, dass ihre Eltern in Wien waren, als Hitler einmarschierte. Wir haben uns in Wien kennen gelernt. Ich war damals ein junger Auslandskorrespondent. Österreich war ja keine Demokratie, auch vor Hitlers Einmarsch nicht, aber es war doch anders als unter den Nazis. Ich bin Ende 1937 nach New York zurückgeflogen.
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