Freuet Euch, Bernhard kommt bald!: 12 unweihnachtliche Weihnachtsgeschichten (German Edition)
aber an Weihnachten darf es ruhig mal kitschig sein. Dazu ist Weihnachten ja da. Brenda will den Weihnachtsschmuck holen, da fällt es mir wie Schuppen von den Augen, und mir wird klar, dass der Weihnachtsschmuck in genau der Tüte sein muss, die sie vorsorglich aus dem Keller geholt und auf den Balkon gestellt hat. Die Tüte, in die ich den enthaupteten Bonsai hineingestopft habe.
Brenda sagt gar nichts. Wenn sie schweigt, ist das nach meiner Erfahrung ein schlimmeres Zeichen, als wenn sie redet. Solange es Kommunikation gibt, ist auch Verständigung möglich, sage ich immer.
Ich verspreche Brenda, dass ich ihr als Ersatz sogar zwei Bonsais kaufen werde. Großes Ehrenwort. Ich sage, Häschen, wenn du möchtest, räumen wir mein Arbeitszimmer aus und machen einen Bonsaigarten daraus. Herr im Himmel – es ist nur ein Baum.
Brenda schweigt. Sie packt den Weihnachtsschmuck aus und fängt an, den Baum zu schmücken. Sie beißt sich dabei auf die Lippen. Wenn sie wütend ist, sieht Brenda immer besonders süß aus. Ich gehe zu ihr, ich versuche, sie zu umarmen, ich flüstere ihr ins Ohr, dass wir es uns nach dem Baumschmücken so richtig gemütlich machen, mit allem, was dazugehört, aber Brenda versucht sich aus meiner Umarmung zu lösen, mit aller Kraft. Dabei bleibt sie am Baum hängen, und der Baum fällt um, genau auf die Tüte mit dem Weihnachtsschmuck. Der Baum zer bricht dabei in zwei Teile, weil der Alleskleber doch nicht so gut ist, wie ich vorhin behauptet habe.
Ich sage: »Schau nur, was du da in deiner Wut angerichtet hast, Häschen. Die ganzen Glaskugeln sind kaputt. Und der Baum ist auch hinüber. War dein Bonsai das wirklich wert?«
Diese Bemerkung werfe ich mir bis heute vor. Das war einfach nicht okay von mir. Ich habe so getan, als ob Brenda den Baum kaputt gemacht hätte, obwohl alles nur meine Schuld gewesen ist. Ich wollte mich schützen. Sich zu schützen ist, glaube ich, bis zu einem bestimmten Punkt legitim. Aber da bin ich zu weit gegangen.
Brenda ruft: »Weihnachten können wir dieses Jahr vergessen!« Und dann sagt sie, dass sie mir mein Geschenk genauso gut jetzt gleich geben könne, rennt ins Bad, wo sie das Geschenk versteckt hat, im Wäschekorb, wo sonst, und im Wäschekorb findet sie den abgesägten, zerkleinerten Mittelteil des Weihnachtsbaums.
Ich gebe sofort alles zu. Ich sage, dass es mit dem Aufstellen des Weihnachtsbaumes einfach ein bisschen blöd gelaufen ist dieses Jahr, und dass ich nur gelogen habe, weil ich ein bisschen Zeit gewinnen wollte, und dass wir vielleicht insgesamt zu perfektionistisch an Weihnachten herangehen. Es kommt doch überhaupt nicht auf Äußerlichkeiten an. Wie der Baum aussieht, ist doch egal, es kommt auf die innere Harmonie an, auf Yin und Yang und auf die Haltung, die man hat. Das denke ich wirklich. Dann nehme ich die Kerzen und stecke sie auf den unteren Teil des Weihnachtsbaumes, den Stumpf. Ich zünde die Kerzen an und sage, schau, der Baum sieht scheiße aus, das sieht jedes Kind, aber es ist unser Baum, der Baum, den das Schicksal uns nun mal zugeteilt hat, das ist unser Baum, Häschen, und darum ist er schön, egal, wie er für andere Leute aussieht.
Brenda heult. Ich nehme sie in den Arm, ich bin jetzt total fürsorglich und verständnisvoll und entschuldige mich ungefähr tausendmal. Ich sage, komm, lass uns in die Badewanne gehen. Das hat sie gern. Wir ziehen uns im Wohnzimmer aus, ich lasse Wasser einlaufen, tue das chinesische Entspannungsöl hinein, und Brenda sagt: »Holger, warum baust du nur immer so einen Mist.«
Ich sage: »Nächstes Jahr fahren wir an Weihnachten weg und kaufen überhaupt keinen Baum.« Brenda nickt, sie schluchzt noch ein bisschen, aber sie beruhigt sich. Wir setzen uns in die Wanne, hören von draußen die Weihnachtsmusik, und nach etwa zwei Minuten sind wir mittendrin im schönsten Versöhnungssex.
Nachdem wir fertig sind, höre ich eine Lautsprecherstimme. Brenda hört sie auch. Die Stimme sagt: »Achtung, Achtung, verlassen Sie das Haus nicht über die Treppen, ich wiederhole, nehmen Sie nicht die Treppe.«
Ich steige aus der Wanne und schaue ins Wohnzimmer. Das Wohnzimmer brennt. Es ist wohl so gewesen, dass die Hitze der Kerzen das Wachs, in dem der Baum stand, irgendwie weich gemacht hat, oder vielleicht war das Wachs generell keine gute Idee. Der Baum ist jedenfalls umgestürzt, und jetzt brennt alles. Sogar die Kleider, die wir im Wohnzimmer liegen gelassen haben.
Wir schauen aus dem Badfenster.
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