Frevel im Beinhaus
heftiger Donnerschlag, der Adelina zusammenzucken ließ. Moses bellte kurz und stupste sie mit seiner feuchten Nase an. Sie strich ihm über den Kopf. «Schon gut, Moses. Das ist nur ein Gewitter. Kein Grund zur Aufregung.»
Der Ton ihrer Stimme schien den Hund zu beruhigen, denn er rollte sich vor ihren Füßen zusammen. Fine sprang neben Adelina auf die Ofenbank und begann sich zu putzen.
Ein weiterer Blitz zuckte auf, diesmal fast sofort gefolgt von einem Donnerschlag, dann öffnete der Himmel seine Schleusen. Ein lautes Rauschen begleitete den Regenguss, der über Köln niederging. Adelina lauschte dem Trommeln auf dem Dach und gegen die Läden des Küchenfensters und richtete dabei ihre Gedanken auf Neklas. Sie vermisste ihn sehr. Die kurzen Besuche im Gefängnis hatten den Schmerz in ihrem Herzen nicht gemildert, sondern – im Gegenteil – noch verstärkt. Inzwischen wünschte sie, dass sie ihm die Wahrheit über Greverode erzählt hätte. Möglicherweise hätte Reese diese Information ja für sich behalten. Je länger sie darüber nachdachte, desto sicherer wurde sie, dass der Gewaltrichter ihnen auch in dieser Sache beigestanden hätte. Leider hatten ihre verwirrten Gefühle sie mittlerweile schon mehrfach zu unüberlegten Handlungen veranlasst. Sie ärgerte sich darüber, denn normalerweise hielt sie sich immer ihre vernünftige Urteilskraft zugute. Damit war es momentan wohl nicht weit her.
Wieder strich sie sanft über ihren Bauch. Vielleicht stimmte es ja auch, was man allgemein über schwangere Frauen sagte – dass sie neben häufigen Essgelüsten auch einen Mangel an Klarsicht besaßen, weniger noch, als man Frauen im Allgemeinen schon zusprach. Zudem hatte sie immer mehr mit ihren Gefühlswallungen zu kämpfen. So oft wie in letzter Zeit waren ihr noch nie die Tränen gekommen.
Adelina schüttelte den Kopf über sich. Anstatt sich in Selbstbetrachtungen und düsteren Stimmungen zu verfangen, tat sie besser daran, über die Lösung ihrer Probleme nachzudenken. Da war zunächst einmal die wichtigste Frage: Wer steckte hinter den Morden und hatte auf listigem Wege veranlasst, dass man Neklas die Schuld daran gab? Und eng damit verbunden war das Rätsel, das Thomasius ihnen mit seinem seltsamen Gebaren aufgegeben hatte. Wo mochtesich der Dominikaner verkrochen haben und vor allem – warum? Immerhin sah ihm ein solches Verhalten gar nicht ähnlich. Er liebte es, immer und überall im Vordergrund zu stehen und die Menschen mit seinen zweifelhaften Ansichten und Weisheiten in Angst und Schrecken zu versetzen. Das hatte er auch bei ihr trefflich geschafft. Adelina verspürte schon seit Tagen das dringende Bedürfnis, eine heilige Messe aufzusuchen. Vermutlich würden ihr Bruder oder Stache sie begleiten, wenn sie darauf bestand. Sie fürchtete lediglich die Blicke und das Getuschel ihrer Mitmenschen. Die wenigen Male, die sie in den vergangenen Tagen hinausgegangen war, hatte sie sich beobachtet und sogar begafft gefühlt. Kaum jemand hatte das Wort an sie gerichtet – sie war sich nicht sicher, ob sie sich darüber freuen sollte. Nicht einmal jemand von der Zunft war bislang bei ihr gewesen. Zwar glaubte sie, dass man auch dort alles daransetzte, ihren Hausarrest aufzuheben – vermutlich hatte Leuer bereits mehrfach Bürgen zu den Schöffen geschickt –, jedoch hielten sich die Zunftmeister wahrscheinlich vorsichtshalber an die Verfügungen der Schöffen, die beinhalteten, keinen Kontakt mit ihr aufzunehmen, bis der Prozess begann.
Fine hatte sich offenbar genug geputzt, denn sie kletterte auf Adelinas Schoß. Obwohl sie dort kaum Platz fand, rollte sie sich umständlich zusammen und begann zu schnurren.
Die Möglichkeit, dass der Erzbischof selbst der Mann war, der hinter all den unschönen Ereignissen stand, drängte sich immer wieder in den Vordergrund. Friedrich III. von Saarwerden war Kurfürst und besaß neben großer Macht selbstverständlich auch viele Informanten und jede Möglichkeit, von ihm oder seinen Gefolgsleuten verübte Taten ohne großes Aufheben auf einen Sündenbock zu schieben. Für Adelina stand das außer Frage. Lediglich Jupps Einwand,ausgerechnet der Erzbischof würde sich wohl kaum mit Dämonenbeschwörung abgeben, ließ sie zweifeln. Dieser Zweispalt wurde jedoch wiederum überlagert von der Gewissheit, dass der Erzbischof ganz sicher ein Mann war, der ständig Gold brauchte, nicht nur, um seinen aufwendigen Lebenswandel zu finanzieren, sondern – gerade im Augenblick
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