Frieden auf Erden
Beispiel. Das gehörte zum guten Ton. Ein Fürst, ein Doge oder ein Magnat sammelte um sich Gärtner, Kutscher, Literaten und Maler. Ludwig XV. hatte seinen Boucher, damit er ihm nackte Damen porträtierte. Boucher ist drittklassig, natürlich, aber er hat etwas hinterlassen, genau wie die anderen Künstler. Von den Kutschern und Gärtnern aber blieb nichts.«
»Von den Gärtnern blieb Versailles.«
»Na immerhin! Aber was kann ein Kutscher hinterlassen außer seiner Peitsche? Die machten das nicht einmal bewußt, wissen Sie, sie sahen darin einfach ihr Geschäft. Heute, im Zeitalter der Spezialisierung, hätten sie davon überhaupt nichts … Was haben Sie denn? Tut Ihnen das Herz weh?«
»Nein. Ich glaube, ich bin bestohlen worden.«
Meine Hand lag tatsächlich auf dem Herzen, denn die Innentasche meiner Jacke war leer.
»Das ist unmöglich, hier gibt es keine Kleptomanen. Sie werden die Brieftasche auf Ihrem Zimmer gelassen haben.«
»Nein. Als ich hier hereinkam, hatte ich sie in der Tasche. Ich weiß es genau, denn ich wollte Ihnen ein Foto zeigen, wo ich noch einen Bart trage. Ich habe sogar nach der Brieftasche gegriffen, sie aber nicht hervorgezogen.«
»Unmöglich. Wir sind hier nur zu zweien, und ich bin Ihnen überhaupt nicht zu nahe gekommen …«
Mir ging plötzlich ein Licht auf.
»Sagen Sie mir genau der Reihe nach, was ich gemacht habe, seit wir hereingekommen sind.«
»Sie haben sich sofort hingesetzt, und ich nahm die Flasche aus dem Schrank. Wir unterhielten uns über diesen Gramer. Sie erzählten von der Schnecke, aber ich konnte nicht sehen, was Sie taten, weil ich nach sauberen Reagenzgläsern suchte. Als ich mich umdrehte, saßen Sie … Nein. Sie standen, hier neben dem Tachistoskop. Sie sahen in das Gerät hinein, ich gab Ihnen den Whisky … Ja, wir tranken, und Sie kehrten auf Ihren Platz zurück.«
Ich stand auf und sah mir den Apparat an. Auf der einen Seite ein Pult mit einem Stuhl davor, eine kleine schwarze Wand mit einer Brille, seitlich dahinter Lampen, der Bildschirm und der flache Kasten des Projektors. Ich suchte den Schalter. Der Bildschirm wurde hell. Ich guckte hinter die Trennwand in das mit schwarzoxydierten Platten bedeckte Innere. Zwischen der Vorderwand und der Tischplatte war ein Spalt, nicht breiter als ein Briefkastenschlitz. Ich suchte die Hand hineinzuzwängen, aber er war zu eng.
»Gibt es hier eine Zange?« fragte ich. »Sie muß möglichst lang und flach sein …«
»Ich weiß nicht, wahrscheinlich nicht. Aber hier ist eine Sonde, wollen Sie die?«
»Ja, bitte.«
Ich bog den elastischen Draht zu einem Haken und tastete damit in jenem Spalt herum, bis ich auf einen weichen Widerstand stieß. Nach mehreren vergeblichen Versuchen tauchte eine Ecke schwarzen Leders auf. Um sie zu ergreifen, brauchte ich die andere Hand, die sich jedoch sträubte. Ich rief den Studenten zu Hilfe. Es war meine Brieftasche.
»Das war die hier«, sagte ich und schwenkte die linke Hand.
»Aber wie denn? Haben Sie nichts gemerkt? Und vor allem – warum?«
»Ich habe nichts gemerkt, obwohl die Sache nicht einfach war. Die Tasche ist auf der linken Seite. Leicht und fingerfertig wie ein Taschendieb. Aber das ist ja gerade die Spezialität des rechten Gehirns: die Koordination des Bewegungsablaufs, bei allen Spielen, im Sport. Und der Zweck? Der läßt sich nur vermuten. Das ist kein verbales logisches, sondern ein etwas kindliches Denken. Wahrscheinlich sollte meine Identität verlorengehen. Wer keine Papiere, keinen Personalausweis hat, besitzt für diejenigen, die ihn nicht kennen, auch keinen Namen.«
»Ach, Sie sollten verschwinden? Das ist doch Magie, magisches Denken.«
»Etwas in der Art. Das ist aber nicht gut.«
»Warum nicht? Sie will Ihnen helfen, so gut sie kann. Kein Wunder übrigens, denn letzten Endes sind das ja auch Sie , nur ein bißchen abgesondert, isoliert.«
»Es ist nicht gut, denn daß sie mir helfen will, bedeutet doch, daß sie die Lage einzuschätzen weiß und etwas für mich befürchtet. Diesmal war das ein dummer Streich, das nächste Mal kann es ein Bärendienst sein …«
Am Abend kam Hous bei mir vorbei. Ich saß, bereits im Pyjama, auf dem Bett und betrachtete meine linke Wade. Unterhalb des Knies befand sich ein großer blauer Fleck.
»Wie fühlen Sie sich?«
»Gut, nur …«
Ich erzählte ihm von der Brieftasche.
»Merkwürdig. Und Sie haben wirklich nichts gemerkt?«
Ich senkte den Blick, sah erneut den blauen Fleck
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