Frieden auf Erden
größeren Teil des Steins und staunte noch mehr. Seine Bruchfläche verlor nicht nur den Glanz, sondern schien sich auch auszuhauchen. Ich sagte Vivitch nichts davon, sondern blieb, im Rücken als heißen Druck die Anwesenheit der Sonne spürend, mit gespreizten Beinen stehen, einige Meter über der sanft gewellten, ganz in die weißen Streifen des Lichts und die schwarzen Flecken des Schattens getauchten Ebene. Ich ließ keinen Blick von dem Stein. Er wuchs, oder, besser gesagt, er verwuchs, das heißt, die beiden Teile, der große und der kleine, den ich in der Hand gehabt hatte, bauchten sich aus, paßten nicht mehr aneinander, jeder von ihnen wurde zu einem unregelmäßigen Brocken ohne die geringste Spur eines Bruchs. Ich wartete, wie es weitergehen würde, aber es ging nicht weiter, ganz als wären an beiden Teilen eine Wunde vernarbt. Unmöglich, sinnlos – aber wahr.
Plötzlich wurde mir bewußt, wie leicht der Stein zu Bruch gegangen war, obwohl ich gar nicht fest zugetreten hatte. Ich sah mich nach anderen um. Einige kleinere lagen an dem sonnenbeschienenen Hang, ich stieg zu ihnen hinunter und hieb mit dem Spaten auf sie ein wie mit einer Axt. Jeder barst wie eine reife Kastanie, und die Bruchflächen glänzten. Zuletzt geriet ich an einen gewöhnlicheren Stein, der Spaten rutschte ab und hinterließ nur einen weißlichen Kratzer. Ich kehrte also zu den zerhauenen zurück. Sie vernarbten, es gab keinen Zweifel. In einer kleinen schlauchähnlichen Tasche am rechten Oberschenkel hatte ich einen Geigerzähler. Er tat keinen Mucks, als ich ihn an die Steine hielt. Die Entdeckung konnte wichtig sein, Steine verhalten sich nicht so, folglich waren sie nicht natürlichen Ursprungs, möglicherweise ein Produkt der hiesigen Technologie. Ich mußte eine Probe mitnehmen, ich bückte mich schon, als mir einfiel, daß ich ja gar nicht an Bord zurückkommen konnte. Das war im Projekt nicht vorgesehen. Auch chemische Analysen konnte ich an Ort und Stelle nicht durchführen, weil ich keinerlei Reagenzien bei mir hatte.
Hätte ich Vivitch von dem Phänomen in Kenntnis gesetzt, wäre es zu hektischen Beratungen und Konsultationen gekommen, die Lunologen wären aus dem Häuschen geraten und hätten mir befohlen, auf der Düne zu bleiben, alle Steine kleinzuhacken wie Eier, zu beobachten, was damit geschah, und immer kühnere Vermutungen anzustellen, aber ich spürte in allen Knochen, daß dabei nichts herauskommen würde. Erst mußte man ja wissen, welchem Zweck diese Erscheinung diente und was dahintersteckte. Vivitch meldete sich von selbst, er fragte, was ich da mit dem Spaten zerhacke. Das von den Mikropen übertragene Bild war offenbar nicht scharf genug. »Nichts, nichts«, gab ich zur Antwort und ging rasch weiter, den Kopf voller Gedanken.
Die Fähigkeit einer Vernarbung von im Kriege erlittenen Beschädigungen konnte Kampfrobotern, falls es solche hier gab, überaus nützlich sein, aber Steinen? Sollte die hiesige Aufrüstung unter der Leitung von Computern bei Schleuder und Kieselstein angefangen haben? Aber selbst wenn – wozu hatten die steinernen Wurfgeschosse dann einen solchen Heilungsprozeß nötig? Plötzlich kam mir, wer weiß woher, der Gedanke, daß ich ja nicht als Mensch, sondern als Sendling, also nicht in lebendiger, sondern in toter Gestalt hier war.
Konnte es nicht sein, daß sich die Rüstung auf dem Mond in zwei voneinander unabhängigen Richtungen entwickelt hatte: als Schöpfung von Angriffswaffen jedesmal, aber zum einen gegen das, was feindlich und leblos, zum anderen gegen das, was feindlich und lebendig war? Nehmen wir an, es sei so gewesen, und phantasieren wir weiter. Nehmen wir an, die Mittel zur Bekämpfung lebloser Waffen können nicht gleichermaßen wirksam gegen lebendige Feinde eingesetzt werden, ich aber sei gerade an jene zweiten geraten, die auf die Landung eines Menschen vorbereitet waren. Da ich ein solcher nicht war, diese Minen – nehmen wir ruhig auch an, es habe sich um Minen gehandelt – in meinem Raumanzug nichts Lebendiges witterten, taten sie mir nichts und beschränkten ihre Aktivität darauf, ihre Wunden vernarben zu lassen. Einem von der Erde stammenden Erkundungsroboter wäre dergleichen überhaupt nicht aufgefallen, er konnte gar nicht so programmiert sein, ein Phänomen wahrzunehmen, das so frappierend und unvorhersehbar zugleich war. Ich hingegen war weder Roboter noch Mensch, und daher hatte ich es wahrgenommen. Was nun? Das wußte ich nicht, aber
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