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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Interesse an seinem Schwiegervater verloren, an den MX-Raketen, an resorptionsfähigem Nahtmaterial, am Hitzetod des Universums. In diesem Augenblick wünschte sich Louis Creed, er wäre tot. Und plötzlich stand vor seinem inneren Auge ein gespenstisches Bild: Gage mit Mickymaus-Ohren, Gage, der in der Main Street von Disney World einem großen, massigen Goofy lachend die Hand schüttelte. Ein ganz klares und deutliches Bild.
    Einer der Sargböcke war umgeschlagen. Der andere lehnte wie betrunken an dem niedrigen Podest, auf das der Geistliche trat, um die Leichenpredigt zu halten. Zwischen den Blumen lag Goldman, gleichfalls weinend. Aus den umgekippten Vasen tropfte Wasser. Die Blumen, von denen einige zerquetscht waren, verbreiteten noch intensiver ihren schwülen Duft.
    Rachel schrie und schrie.
    Louis konnte nicht auf ihre Schreie reagieren. Das Bild von Gage mit Mickymaus-Ohren verblaßte, aber erst, nachdem er eine Stimme gehört hatte, die für den späteren Abend ein Feuerwerk ankündigte. Er saß da, das Gesicht in den Händen. Sie sollten ihn nicht mehr sehen, sein tränenüberströmtes Gesicht, seinen Verlust, seine Schuld, seinen Schmerz, seine Scham, vor allem seinen feigen Wunsch, tot und aus all dieser Dunkelheit heraus zu sein.
    Der Bestattungsunternehmer und Dory Goldman führten Rachel hinaus. Sie schrie immer noch. Später, in einem anderen Raum (von dem Louis annahm, daß er für Leute reserviert war, die ihr Kummer überwältigte -- der Hysteriesalon vielleicht), wurde sie sehr still. Benommen, aber bei klarem Verstand und beherrscht, gab Louis ihr diesmal selbst die Beruhigungsspritze; er hatte darauf bestanden, daß man sie allein ließ.
     
     
    Zu Hause brachte er sie hinauf und ins Bett und gab ihr noch eine Spritze. Dann zog er ihr die Decke bis zum Kinn hoch und betrachtete ihr wächsernes, bleiches Gesicht.
    »Rachel, es tut mir leid«, sagte er. »Ich gäbe alles dafür, wenn ich es ungeschehen machen könnte.«
    »Schon gut«, sagte sie mit seltsam tonloser Stimme und drehte sich dann auf die Seite, von ihm fort.
    Er spürte, wie sich ihm die lahme, alte Frage Ist alles in Ordnung? auf die Lippen drängte, und schob sie zurück. Die Frage war nicht echt; es war nicht das, was er wirklich wissen wollte.
    »Wie schlecht geht es dir?« fragte er schließlich.
    »Ziemlich schlecht, Louis«, sagte sie und gab einen Laut von sich, der vielleicht ein Lachen sein konnte. »Sogar hundsmiserabel«
    Es schien, als wäre er ihr noch etwas schuldig geblieben, aber Louis konnte es nicht geben. Plötzlich verspürte er eine Art Haß -- auf sie, auf Steve Masterton, auf Missy Dandridge und ihren Mann mit seinem vorstehenden Adamsapfel, auf die ganze verdammte Bande. Warum sollte er der ewige Befriediger von Bedürfnissen sein? Was für ein Scheißspiel war das?
    Er löschte das Licht und ging hinaus. Und dann stellte er fest, daß er seiner Tochter auch nicht viel mehr geben konnte.
    Als er Ellie im Halbdunkel ihres Zimmers betrachtete, glaubte er für einen wirren Augenblick, Gage vor sich zu haben. Ihm kam der Gedanke, das Ganze wäre nur ein gräßlicher Alptraum gewesen, wie der Traum von Pascow, der ihn in die Wälder führte, und einen Augenblick lang hielt sein erschöpftes Hirn sich daran fest. Die Schatten halfen ihm dabei -- das einzige Licht kam von dem tragbaren Fernsehgerät, das Jud heraufgeholt hatte, damit sie sich die Zeit vertreiben konnte. Die langen, langen Stunden.
    Aber natürlich war es nicht Gage; es war Ellie. Sie hatte nicht nur das Photo in der Hand, auf dem sie Gage auf dem Schlitten zog, sie saß auch auf Gages Stuhl, den sie aus seinem Zimmer geholt und in ihres gebracht hatte. Es war ein kleiner Regisseurstuhl mit Segeltuchsitz und einem Segeltuchstreifen als Rückenlehne, auf der der Name GAGE stand. Rachel hatte vier solcher Stühle in verschiedenen Größen bei einem Versandhaus bestellt. Jedes Familienmitglied hatte einen, und bei jedem stand der Name auf der Rückenlehne.
    Ellie war zu groß für Gages Stuhl. Sie hatte sich hineingezwängt, und der Segeltuchsitz beulte sich gefährlich nach unten. Sie drückte das Polaroid-Photo an die Brust und starrte auf den Bildschirm, auf dem irgendein Film ablief.
    »Ellie«, sagte er und schaltete das Gerät ab. »Schlafenszeit.«
    Sie mühte sich aus dem Stuhl heraus und faltete ihn zusammen. Es sah aus, als hätte sie vor, ihn mit ins Bett zu nehmen.
    Louis zögerte, überlegte, ob er etwas über den Stuhl sagen sollte;

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