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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schließlich fragte er nur: »Soll ich dich ins Bett bringen?«
    »Ja, bitte«, sagte sie.
    »Möchtest du heute nacht bei Mommy schlafen?«
    »Nein, danke.«
    »Wirklich nicht?«
    Sie lächelte ein wenig. »Nein. Sie nimmt mir immer die Decke weg.«
    Louis erwiderte das Lächeln. »Dann zieh dich aus.«
    Anstatt den Stuhl in ihrem Bett unterzubringen, stellte Ellie ihn neben dem Kopfende auf; Louis kam ein absurder Gedanke -- dies war das Behandlungszimmer des kleinsten Psychiaters der Welt.
    Bevor sie sich auszog, legte sie das Photo von sich und Gage auf das Kopfkissen. Sie schlüpfte in ihren Baby-Doll-Pyjama, nahm das Photo, ging ins Badezimmer und legte es beiseite, um sich zu waschen, zu kämmen, die Zähne zu putzen und ihre Fluortablette zu nehmen. Dann nahm sie es wieder an sich und ging damit ins Bett.
    Louis setzte sich zu ihr und sagte: »Eins solltest du wissen, Ellie -- wenn wir uns weiterhin lieb haben, können wir das durchstehen.«
    Jedes Wort war wie das Zerren an einem mit nassen Stoffballen beladenen Handwagen -- so mühsam, daß Louis sich erschöpft vorkam.
    »Ich werde es mir ganz stark wünschen«, sagte Ellie ruhig, »und ich will zu Gott beten, daß Gage wiederkommt.«
    »Ellie...«
    »Gott kann machen, daß es nicht geschehen ist, wenn er will«, sagte Ellie. »Er kann alles, was er will.«
    »So etwas tut Gott nicht, Ellie«, sagte Louis mit einem unguten Gefühl. In Gedanken sah er Church, der auf dem geschlossenen Toilettensitz hockte und ihn, als er in der Badewanne lag, mit seinen trüben Augen anstarrte.
    »Doch, das tut er«, sagte sie. »Der Lehrer in der Sonntagsschule hat uns von Lazarus erzählt. Er war tot, und Jesus holte ihn ins Leben zurück. Er sagte, ›Lazarus, komm heraus‹; und der Lehrer hat gesagt, wenn er nur ›Komm heraus‹ gesagt hätte, dann wären wahrscheinlich alle Toten auf dem Friedhof herausgekommen. Aber Jesus wollte nur Lazarus.«
    Dazu fiel ihm nur eine absurde Bemerkung ein (aber war nicht der ganze Tag eine Folge von Absurditäten gewesen?): »Das ist schon lange her, Ellie.«
    »Ich sorge dafür, daß alles für ihn bereit ist«, sagte sie. »Ich habe sein Bild, und ich sitze auf seinem Stuhl...«
    »Du bist zu groß für seinen Stuhl, Ellie«, sagte Louis und ergriff ihre fieberheiße Hand. »Er wird zerbrechen.«
    »Gott sorgt dafür, daß er nicht zerbricht«, sagte Ellie. Ihre Stimme klang gelassen, aber Louis sah die dunklen Ringe unter ihren Augen. Als er sie ansah, wurde ihm das Herz so schwer, daß er den Blick abwenden mußte. Wenn Gages Stuhl zerbrach, würde sie das, was geschehen war, vielleicht ein wenig besser verstehen.
    »Ich behalte sein Bild bei mir und sitze auf seinem Stuhl«, sagte sie. »Ich esse auch sein Frühstück.« Gage und Ellie hatten beide ihre eigenen Getreideflocken gehabt; die von Gage, hatte Ellie einmal erklärt, schmeckten wie tote Wanzen. Wenn nur Cocoa Bears im Haus waren, aß Ellie gelegentlich ein gekochtes Ei -- oder gar nichts. »Ich werde Limabohnen essen, obwohl ich sie nicht mag, und ich werde Gages Bilderbücher lesen, und ich werde... ich werde... dafür sorgen, daß alles da ist... wenn...«
    Jetzt weinte sie. Louis versuchte nicht, sie zu trösten, sondern strich ihr nur das Haar aus der Stirn. Was sie sagte, hatte schon einen gewissen Sinn. Die Leitungen offen halten. Die Dinge in Bewegung halten. Gage in der Gegenwart halten, in der Hundertschaft der Auserwählten, sein Verblassen verweigern. Sich erinnern, wann Gage dies tat -- oder das --, ja, das war großartig -- ja, Gage, das hast du gut gemacht. Wenn es anfing, nicht mehr weh zu tun, dann fing es auch an, keine Rolle mehr zu spielen. Vielleicht hatte sie begriffen, dachte Louis, wie einfach es wäre, Gage tot sein zu lassen.
    »Nicht weinen, Ellie«, sagte er. »Es dauert nicht ewig.«
    Sie weinte ewig -- eine Viertelstunde. Sie schlief sogar ein, bevor ihre Tränen versiegt waren. Aber schließlich schlief sie, und die Uhr unten im stillen Haus schlug zehn.
    Halt ihn am Leben, Ellie, wenn du willst, dachte er und küßte sie. Die Seelenklempner würden wahrscheinlich sagen, es wäre das Ungesundeste, was du tun kannst. Aber ich denke da anders. Ich weiß, daß der Tag kommen wird -- vielleicht schon am nächsten Freitag --, an dem du vergißt, das Photo mit dir herumzutragen, und ich es in diesem leeren Zimmer auf dem Bett liegen sehe, während du mit dem Fahrrad auf der Auffahrt Kreise ziehst oder auf dem Feld hinter dem Haus spielst oder

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