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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Mund. Er spürte, wie die Lippen des alten Mannes aufplatzten, sich verzerrten. Es war ein widerliches Gefühl -- ein Gefühl, wie wenn man mit der Faust eine Schnecke zerschmetterte. Hinter den Lippen seines Schwiegervaters spürte er sein hartes, unnachgiebiges Gebiß.
    Goldman taumelte rückwärts. Sein Arm schlug gegen Gages Sarg und schob ihn zur Seite. Eine der Vasen, kopflastig mit Blumen, landete klirrend auf dem Boden. Jemand schrie.
    Es war Rachel. Sie versuchte sich von ihrer Mutter loszureißen. Die Anwesenden -- vielleicht zehn oder fünfzehn Trauergäste -- waren wie erstarrt vor Entsetzen und Verlegenheit. Steve hatte Jud nach Ludlow mitgenommen, und Louis war ihm vage dankbar dafür. Er hätte nicht gewollt, daß Jud diese Szene miterlebte. Sie war unschicklich.
    »Tu ihm nicht weh!« schrie Rachel. »Louis, tu meinem Vater nicht weh!«
    »Alte Männer zu schlagen, das macht dir wohl Spaß«, schrillte Irwin Goldman mit dem überquellenden Scheckbuch. Er grinste mit blutigem Mund. »Alte Männer zu schlagen, das macht dir wohl Spaß? Das überrascht mich nicht, du widerlicher Scheißkerl. Das überrascht mich ganz und gar nicht.«
    Louis drehte sich zu ihm um, und Goldman schlug ihn auf die Kehle. Es war ein ungeschickter, kurzer Schlag mit der Handkante, aber Louis war nicht darauf vorbereitet. Ein lähmender Schmerz, der ihm für die nächsten beiden Stunden das Schlucken erschwerte, explodierte in seinem Hals. Sein Kopf schnellte nach hinten, und er fiel im Mittelgang auf ein Knie.
    Erst die Blumen, und nun ich, dachte er. Wie heißt es bei den Ramones? Hey-ho, let's go! Ihmwar nach Lachen zumute, aber es war kein Lachen in ihm. Aus seiner schmerzenden Kehle kam nur ein leises Stöhnen.
    Rachel schrie abermals.
    Mit bluttriefendem Mund marschierte Irwin Goldman auf seinen knienden Schwiegersohn zu und versetzte Louis einen scharfen Tritt in die Nieren. Der Schmerz war ein helles Aufflackern von Qual. Louis stützte die Hände auf den Läufer, um nicht flach auf dem Bauch zu landen.
    »Nicht einmal gegen alte Männer kannst du dich wehren, du Versager!« schrie Goldman mit vor Wut brüchiger Stimme. Sein Fuß schnellte wieder vor, verfehlte diesmal die Nieren, traf Louis mit einem schwarzen Altmännerschuh auf der linken Gesäßhälfte. Louis stöhnte vor Schmerzen und landete endgültig auf dem Teppich. Sein Kinn schlug hörbar auf. Er biß sich in die Zunge.
    »Da!« schrie Goldman. »Da hast du den Tritt in den Arsch, den ich dir schon hätte versetzen sollen, als du zum ersten Mal angeschlichen kamst, du Bastard! Da!« Er traf Louis abermals, diesmal in die andere Gesäßhälfte. Er weinte und grinste gleichzeitig. Erst jetzt bemerkte Louis, daß Goldman unrasiert war -- ein Zeichen der Trauer. Der Bestattungsunternehmer kam auf sie zugerannt. Rachel hatte sich von Mrs. Goldman losgerissen und kam gleichfalls schreiend auf sie zu.
    Louis rollte sich schwerfällig auf die Seite und setzte sich auf. Sein Schwiegervater trat abermals nach ihm, und Louis packte seinen Schuh mit beiden Händen -- er lag in seinen Händen wie ein gut gefangener Football -- und stieß ihn mit aller Kraft von sich.
    Laut brüllend flog Goldman schräg nach hinten und versuchte mit rudernden Armen das Gleichgewicht zu halten. Er landete auf Gages »Ewige Ruhe«-Sarg, hergestellt in Storyville, Ohio, und nicht gerade billig.
    Der Große und Schreckliche Oz ist auf den Sarg meines Sohnes gefallen, dachte Louis benommen. Der Sarg stürzte polternd von den Böcken. Zuerst fiel das linke Ende, dann das rechte. Der Verschluß brach. Trotz des Schreiens und Weinens, trotz Goldmans Gebrüll, der im Grunde nur das bei Kindergeburtstagen beliebte Spiel »Gib dem Esel die Schuld« spielte, hörte Louis den Verschluß brechen.
    Nicht, daß der Sarg aufging und Gages traurige, zerfetzte Überreste auf den Fußboden kippte, so daß alle sie anstarren konnten; aber Louis war sich mit einem jämmerlichen Gefühl bewußt, daß ihnen das nur durch die Art seines Fallens erspart geblieben war. Er war auf den Boden gefallen, nicht auf die Seite. Er hätte ebenso gut auf die Seite fallen können. Dennoch sah er in dem Sekundenbruchteil, bevor der Deckel mit seinem zerbrochenen Verschluß wieder zuschlug, etwas Graues -- den Anzug, den sie gekauft hatten, um Gages Leichnam in der Erde zu bekleiden. Und etwas Blasses. Vielleicht Gages Hand.
    Louis saß auf dem Fußboden, schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. Er hatte alles

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