Friedhof der Kuscheltiere
ein; er erinnerte sich, wie Gage auf seinem Schoß eingeschlafen war, während Ellie von ›Old MacDonald‹ und Mrs. Berryman erzählte. Laß mich den Kleinen ins Bett bringen, hatte er gesagt, und während er Gage hinauftrug, hatte ihn eine grauenhafte Vorahnung überfallen, die er erst jetzt begriff. Schon damals im September hatte er irgendwie gewußt, daß Gage bald sterben würde. Irgendwie hatte er gewußt, daß der Große und Schreckliche Oz nicht fern war. Es war Unsinn, dummes Zeug, es war hirnrissiger Aberglaube reinsten Wassers -- und es war die Wahrheit. Er hatte es gewußt. Louis schüttete sich einen Teil seines Bieres aufs Hemd, und Church blickte träge auf, um zu sehen, ob dies ein Anzeichen dafür war, daß jetzt die Zeit des abendlichen Tritte-Austeilens begann.
Plötzlich entsann sich Louis der Frage, die er Jud gestellt hatte; er entsann sich, wie Juds Arm hochgefahren war und zwei leere Bierflaschen vom Tisch kippten. Eine davon war zersplittert. Über so etwas sollte man nicht einmal reden, Louis!
Aber er wollte darüber reden -- zumindest wollte er daran denken. Der Tierfriedhof. Das, was jenseits des Tierfriedhofs lag. Der Gedanke hatte eine tödliche Anziehungskraft. Eine logische Ausgewogenheit, die man unmöglich abstreiten konnte. Church war auf der Straße ums Leben gekommen; Gage war auf der Straße ums Leben gekommen. Hier war Church -- gewiß, verändert, in mancher Hinsicht widerwärtig --, aber er war hier; Ellie, Gage und Rachel hatten ihn bis zu einem gewissen Grade akzeptiert. Gewiß, er tötete Vögel und hatte bei ein paar Ratten das Innerste nach außen gekehrt, aber kleine Tiere zu töten war nun einmal Katzenart. Church war durchaus nicht zu einem Frankenstein-Kater geworden. In vieler Hinsicht war er so gut wie eh und je.
Du machst dir etwas vor, flüsterte eine Stimme. Er ist nicht so gut wie eh und je. Die Krähe, Louis -- denkst du noch an die Krähe?
»Großer Gott«, sagte Louis laut und erkannte die bebende, verzerrte Stimme kaum als seine eigene.
Gott, oh ja, wunderbar. Wenn es je an der Zeit gewesen war, außerhalb eines Romans über Gespenster oder Vampire den Namen Gottes auszusprechen, dann war es jetzt an der Zeit. An was -- an was im Namen Gottes -- dachte er jetzt? Er dachte an eine schwarze Blasphemie, die er selbst jetzt noch nicht ganz fassen konnte. Schlimmer noch -- über die er sich belog. Er machte sich nicht nur etwas vor, er belog sich regelrecht.
Aber was ist die Wahrheit? Wenn du schon so auf Wahrheit versessen bist -- was ist die Wahrheit?
Daß Church in Wirklichkeit gar kein Kater mehr war -- um damit anzufangen. Er sah aus wie ein Kater, er benahm sich wie ein Kater, aber in Wirklichkeit war er nur eine schlechte Imitation. Die Leute konnten diese Imitation zwar nicht durchschauen, aber sie spürten sie. Ihm fiel ein Abend ein, an dem Joan Charlton bei ihnen gewesen war. Eine kleine Vorweihnachtsparty war der Anlaß gewesen. Nach dem Essen hatten sie hier gesessen und sich unterhalten, und Church war auf ihren Schoß gesprungen. Joan Charlton hatte den Kater sofort wieder heruntergestoßen, und plötzlich und instinktiv hatte sich ihr Mund zu einem Ausdruck des Abscheus verzogen.
Es war keine große Sache. Niemand hatte eine Bemerkung darüber gemacht. Aber -- es war geschehen. Joan Charlton hatte gespürt, was der Kater nicht war.Louis leerte seine Dose und holte sich die nächste. Wenn Gage auf diese Art verändert zurückkäme -- es wäre widerlich.
Er riß die Dose auf und trank einen großen Schluck. Er war betrunken, regelrecht betrunken, am nächsten Morgen würde er einen dicken Kopf haben. Wie ich total verkatert zur Beerdigung meines Sohnes ging, von Louis Creed, Autor von Wie ich ihn im entscheidenden Moment verfehlte und zahlreichen weiteren Werken.
Betrunken. Gewiß doch. Und jetzt argwöhnte er, daß er sich nur betrunken hatte, um nüchtern über diese verrückte Idee nachdenken zu können.
Trotz allem ging von dieser Idee eine tödliche Anziehungskraft aus, ein ungesunder Glanz, ein Zauber. Ja, das war es, vor allem anderen -- ein Zauber ging von ihr aus.
Jud war in sein Denken zurückgekehrt und sagte:
Man tut es, weil es einen packt. Man tut es, weil dieser Begräbnisplatz ein Ort mit einem Geheimnis ist, und weil man das Geheimnis mit jemandem teilen möchte... Man erfindet Gründe -- es scheinen gute Gründe zu sein --, aber vor allem anderen tut man es, weil man es will.
Oder weil man es muß.
Juds Stimme,
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