Friedhof der Kuscheltiere
geringsten Schwierigkeiten wieder anfangen.«
»Ich hoffe, es geht gut im Herbst«, sagte Ellie. »Ich war noch nie in einer richtigen Klasse. Nur in der Vorschule. Ich weiß auch nicht, was in einer richtigen Klasse gemacht wird. Wahrscheinlich Hausaufgaben.«
»Es geht bestimmt gut.«
»Daddy, bist du immer noch sauer auf Grandpa?«
Er sah sie fassungslos an. »Wie in aller Welt kommst du darauf, ich wäre -- ich hätte deinen Großvater nicht gern?«
Sie zuckte die Achseln, als wäre ihr das Thema nicht sonderlich wichtig. »Wenn du von ihm sprichst, siehst du immer so sauer aus.«
»Ellie, das stimmt nicht.«
»Entschuldige.«
Sie bedachte ihn mit einem merkwürdig entrückten Blick und wandte sich dann dem Regal mit den Kinderbüchern zu -- Mercer Meyer, Maurice Sendak, Richard Scarry, Beatrix Potter und Dr. Seuss, der berühmte und unentbehrliche Klassiker. Wie finden sie so etwas bloß heraus? Oder ist es Intuition? Wieviel weiß Ellie? Wie wird sie damit fertig? Was geht hinter diesem blassen, kleinen Gesicht vor? Sauer auf Grandpa -- guter Gott!
»Kann ich die haben, Daddy?« Sie hielt ihm einen Dr. Seuss hin und ein Buch, das Louis seit seiner eigenen Kindheit nicht mehr gesehen hatte: die Geschichte vom kleinen, schwarzen Sambo, dem die Tiger an einem schönen Tag die Kleider wegnehmen.
Das habe ich längst für ein Unbuch gehalten, dachte Louis amüsiert.
»Ja«, sagte er und stellte sich am Ende der kurzen Schlange vor der Kasse an. »Wir haben uns gern, dein Grandpa und ich«, sagte er und dachte wieder an die Behauptung seiner Mutter, wenn Frauen ein Baby wollten, dann »fänden« sie eines. Dann fiel ihm sein eigener törichter Vorsatz ein, seine eigenen Kinder nie anzulügen. Er hatte das Gefühl, sich in den letzten paar Tagen zu einem recht vielversprechenden Lügner entwickelt zu haben; aber daran wollte er jetzt nicht denken.
»Oh«, sagte sie und verstummte dann.
Ihr Schweigen machte ihn nervös. Um es zu brechen, sagte er: »Was meinst du -- freust du dich auf die Zeit in Chicago?«
»Nein.«
»Nein? Warum denn nicht?«
Wieder dieser entrückte Ausdruck in ihrem Gesicht. »Ich habe Angst.«
Er legte ihr die Hand auf den Kopf. »Angst? Aber Liebling, wovor denn? Du hast doch keine Angst vorm Fliegen, oder?«
»Nein«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wovor ich Angst habe, Daddy. Ich habe geträumt, wir wären bei Gages Beerdigung, und der Begräbnismann machte seinen Sarg auf, und er war leer. Dann träumte ich, ich wäre zu Hause und sähe in Gages Bettchen, und das war auch leer. Aber es war Erde darin.«
Lazarus, komm heraus.
Zum ersten Mal seit Monaten erinnerte er sich an den Traum, den er nach Pascows Tod gehabt hatte -- den Traum, und dann das Aufwachen mit schmutzigen Füßen, das Fußende des Bettes verklebt mit Kiefernnadeln und Schlamm.
Sein Nackenhaar sträubte sich.
»Das sind nur Träume«, sagte er, und seine Stimme klang, zumindest für ihn selber, völlig normal. »Das geht vorbei«
»Ich wollte, du kämest mit uns«, sagte sie. »Oder wir blieben hier. Können wir nicht hierbleiben, Daddy? Ich möchte nicht nach Chicago. Ich möchte weiter zur Schule gehen. Okay?«
»Es ist ja nicht für lange, Ellie«, sagte er. »Ich muß« -- er schluckte -- »noch einiges erledigen, dann komme ich nach, und wir können überlegen, was wir dann machen.«
Er erwartete Widerworte, vielleicht sogar einen von Ellies hysterischen Wutanfällen. Vielleicht hätte er ihn sogar willkommen geheißen -- er war ihm vertraut, ganz im Gegensatz zu diesem Ausdruck. Aber da war nichts als dieses bleiche, beunruhigte Schweigen, das so tief zu sitzen schien. Er hätte ihr weitere Fragen stellen können, aber er wagte es nicht; vielleicht hatte sie ohnehin schon mehr gesagt, als er hören wollte.
Gleich nachdem er und Ellie in die Abflughalle zurückgekehrt waren, wurde der Flug aufgerufen. Die Bordkarten in der Hand, reihten die vier sich ein. Louis umarmte seine Frau und küßte sie heftig; sie klammerte sich einen Augenblick an ihn und ließ ihn dann los, damit er Ellie hochheben und ihr einen Kuß auf die Wange drücken konnte. Ellie starrte ihn eindringlich an. »Ich will nicht fort«, sagte sie abermals, aber so leise, daß nur Louis es aus dem Drängen und Murmeln der anderen Passagiere heraushörte. »Und Mommy soll auch nicht fort.«
»Aber Ellie«, sagte Louis, »dir passiert doch nichts.«
»Mir passiert nichts«, sagte sie, »aber was ist mit dir? Was ist mit dir,
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