Friedhof der Kuscheltiere
Zimmer bar.
Er versuchte zu schlafen, weil er sich sagte, es würde ihm gut tun, vor morgen früh noch ein bißchen Ruhe zu haben. Mit den Worten eines Romans der viktorianischen Zeit ausgedrückt: ihm stand in dieser Nacht ein wüstes Werk bevor -- ein so wüstes Werk, daß es für sein ganzes Leben ausreichte.
Aber sein Gehirn ließ sich nicht abschalten.
Er lag auf einem anonymen Motelbett unter einem billigen Moteldruck mit malerischen Booten an einem malerischen, alten Anleger in einem malerischen Neuengland-Hafen, voll angekleidet bis auf die Schuhe -- Brieftasche, Kleingeld und Schlüssel auf dem Nachttisch neben sich, die Hände unter dem Kopf. Das Gefühl der Kälte dauerte an; er fühlte sich völlig losgelöst von seiner Familie, den Orten, die ihm so vertraut geworden waren, sogar von seiner Arbeit. Dies konnte irgendein Howard Johnson-Motel auf der Welt sein -- in San Diego oder Duluth, in Bangkok oder Nagasaki. Er war nirgendwo, und hin und wieder fuhr ihm ein überaus kurioser Gedanke durch den Kopf: bevor er die vertrauten Orte und Gesichter wiedersah, würde er seinen Sohn wiederfinden.
Sein Plan spulte sich unaufhörlich in seinem Kopf ab. Er betrachtete ihn von allen Seiten, beklopfte ihn, sondierte ihn, suchte nach Löchern und Schwachstellen. Dabei hatte er das Gefühl, in Wirklichkeit auf einem schmalen Balken über einem Abgrund des Wahnsinns zu balancieren. Wahnsinn umgab ihn von allen Seiten, sanft flatternd wie die Flügel von Eulen, die mit großen, goldenen Augen in der Nacht auf Jagd gehen: er steuerte auf den Wahnsinn zu.
In seinem Kopf war das verträumte Echo der Stimme von Tom Rush: O Tod, wie klamm sind deine Hände... auf den Knien spür' ich dich . .. du kamst und nahmst meine Mutter ... wann kommst du und nimmst auch mich?
Wahnsinn. Wahnsinn rings um ihn herum, ganz nahe, bedrohlich nahe.
Er wanderte auf dem Schwebebalken der Vernunft; er beschäftigte sich mit seinem Plan.
Heute abend gegen elf würde er das Grab seines Sohnes offnen, den Deckel des Grabeinsatzes mit dem Seil hochziehen, den Leichnam aus dem Sarg holen, in ein passend zugeschnittenes Stück Segeltuch einhüllen und in den Honda legen. Er würde den Sarg wieder schließen und das Grab wieder zuschaufeln. Dann würde er nach Ludlow fahren, Gages Leichnam aus dem Wagen holen... und einen Spaziergang machen. Ja, er würde einen Spaziergang machen.
Wenn Gage zurückkam, gabelte sich der einspurige Weg. Es gab zwei Möglichkeiten. Die eine besagte, daß Gage als Gage zurückkehrte, vielleicht betäubt oder träge oder sogar leicht geistesgestört (nur in den tiefsten Abgründen seines Denkens gestattete Louis sich die Hoffnung, daß Gage heil und ganz zurückkehrte, so, wie er gewesen war; auch das war möglich, oder etwa nicht?) -- aber trotzdem noch sein Sohn, Rachels Sohn, Ellies Bruder.
Die andere Möglichkeit war, daß aus den Wäldern hinter dem Haus eine Art Monster auftauchte. Er hatte so viel zu akzeptieren gelernt, daß er nicht davor zurückscheute, an Monster zu denken, sogar an Dämonen, entkörperlichte Wesen des Bösen aus dem Jenseits, die sich eines wiederbelebten Körpers bemächtigten, aus dem die Seele entwichen war.
In beiden Fällen würde er mit seinem Sohn allein sein. Und er würde...
Ich werde eine Diagnose stellen.
Ja. Genau das würde er tun.
Ich werde ihn genau untersuchen, nicht nur seinen Körper, sondern auch seinen Geist. Ich werde Zugeständnisse machen an das Trauma des Unfalls, ob er sich daran erinnert oder nicht. Das Beispiel von Church vor Augen, werde ich auf Gestörtheit gefaßt sein, vielleicht geringen, vielleicht erheblichen Ausmaßes. In einem Zeitraum zwischen vierundzwanzig und zweiundsiebzig Stunden werde ich prüfen, ob die Möglichkeit besteht, Gage wieder in unsere Familie zu integrieren. Und wenn die Einbuße zu groß ist -- wenn er so zurückkommt, wie Timmy Baterman offenbar zurückgekommen ist, als ein vom Bösen besessenes Ding --, dann töte ich ihn.
Als Arzt glaubte er, ohne weiteres imstande zu sein, Gage zu töten -- wenn Gage nur das Gefäß für ein anderes Wesen war. Es war einfach. Er würde sich nicht von seinem Flehen oder von seiner Tücke irritieren lassen. Er würde es töten, wie er eine Ratte töten würde, die die Pest übertrug. Das konnte ohne jedes Melodrama geschehen. Eine in einem Getränk aufgelöste Tablette, vielleicht auch zwei oder drei. Falls nötig, eine Spritze. Morphium war in seiner Tasche. In der darauffolgenden Nacht
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