Friedhof der Kuscheltiere
Tigger!«
Er und sein Sohn taten Dienst. Er und sein Sohn waren die Wächter in diesem Zauberland, und sie drehten unentwegt ihre Runden in ihrem weißen Transporter mit dem diskret verdeckten roten Blinklicht am Armaturenbrett. Sie waren nicht auf Unannehmlichkeiten aus, aber falls welche auftauchen sollten, waren sie darauf vorbereitet. Daß sie selbst hier lauerten, an einem nur dem unschuldigen Vergnügen gewidmeten Ort, ließ sich nicht abstreiten. Ein lachender Mann, der auf der Main Street Filme kaufte, konnte sich plötzlich an die Brust greifen, weil er einen Herzanfall hatte; bei einer schwangeren Frau konnten unvermutet die Wehen einsetzen, während sie die Stufen der Achterbahn hinabstieg; ein junges Mädchen, hübsch wie ein von Norman Rockwell gezeichnetes Covergirl, konnte in einem epileptischen Anfall hinschlagen und mit ihren Turnschuhen einen unregelmäßigen Wirbel auf den Beton trommeln, wenn die Hirnströme plötzlich in Unordnung gerieten. Es gab Sonnenstich, Hitzschlag und Gehirnschlag, und am Ende eines schwülen Sommernachmittags mochte es sogar Blitzschlag geben. Sogar der Große und Schreckliche Oz war da -- möglich, daß man ihn nicht weit von der Haltestelle der Einschienenbahn im Zauberreich herumwandern sah oder daß er mit seinen stumpfen, leeren Augen von einem der fliegenden Dumbos herunterschaute; hier in Orlando hatten Louis und Gage ihn kennengelernt -- als eine der Figuren des Vergnügungsparks, wie Goofy oder Mickymaus oder Tigger oder der ehrenwerte Mr. Donald Duck. Doch mit ihm wollte sich niemand photographieren lassen, niemand wünschte, daß sein Sohn oder seine Tochter seine Bekanntschaft machten. Louis und Gage kannten ihn; sie hatten ihn vor einiger Zeit in Neuengland kennengelernt und ihm ins Gesicht geschaut. Er wartete darauf, jemanden an einer Murmel ersticken zu lassen, einem mit einer Plastiktüte den Atem zu nehmen, einen mit einem schnellen und tödlichen Elektro-Boogie-Woogie in die Ewigen Jagdgründe zu schicken -- erhältlich am nächsten Lichtschalter und in jeder Steckdose. Der Tod war in einer Viertelkilotüte Erdnüsse, einem in die Luftröhre geratenen Bissen Steak, der nächsten Schachtel Zigaretten. Er war immer gegenwärtig, er überwachte sämtliche Schaltstellen zwischen dem Irdischen und der Ewigkeit. Wenn man in die Wanne stieg, um zu duschen, stieg Oz mit ein: Duschen Sie mit einem Freund. Wenn man in ein Flugzeug stieg, nahm Oz die Bordkarte entgegen. Er war im Wasser, das man trank, in den Speisen, die man verzehrte, in schnellen Rollschuhen, die nichtsahnende Kinder auf verkehrsreiche Kreuzungen trugen. Wer ist da? heulte man in die Dunkelheit, wenn man Angst hatte und ganz allein war, und zurück kam seine Antwort: Keine Angst, ich bin's nur. Wie geht's, wie steht's? Du hast Magenkrebs, alter Freund, tut mir schrecklich leid! Septikämie! Leukämie! Arteriosklerose! Koronarthrombose! Enzephalitis! Osteomyelitis! Hey-ho, let's go! Ein Junkie mit einem Messer in einer Toreinfahrt. Ein Anruf mitten in der Nacht. Blut, das auf einer Schnellstraßen-Ausfahrt irgendwo in North Carolina in Batteriesäure kocht. Ein paar Handvoll Tabletten, schluck sie runter. Diese merkwürdige Blaufärbung der Fingernägel nach dem Ersticken -- in seinem letzten Überlebenskampf holt sich das Gehirn allen Sauerstoff, der noch vorhanden ist, selbst den aus den lebenden Zellen unter den Nägeln. Hallo, Leute, ich bin der Große und Schreckliche Oz, aber ihr könnt mich einfach Oz nennen -- schließlich sind wir inzwischen alte Freunde. Bin nur vorbeigekommen, um euch einen kleinen Blutstau im Herzen zu bringen oder ein Blutgerinnsel im Gehirn oder etwas dergleichen; kann nicht bleiben, muß zu einer Frau wegen einer Sturzgeburt, und dann muß ich hinunter nach Omaha zu einem Kettenraucher.
Und diese dünne Stimme rief: »Ich liebe dich, Tigger! Ich liebe dich! Ich glaube an dich, Tigger! Ich werde dich immer lieben und immer an dich glauben, und ich werde jung bleiben, und der einzige Oz, der je in meinem Herzen wohnen wird, ist dieser harmlose Scharlatan aus Nebraska! Ich liebe dich...«
Wir drehen unsere Runden -- mein Sohn und ich --, denn was allem zugrunde liegt, ist nicht Krieg oder Sex, sondern nur dieser erbärmliche, edle, aussichtslose Kampf gegen den Großen und Schrecklichen Oz. Er und ich, wir drehen unsere Runden in unserem weißen Transporter unter dem klaren Himmel von Florida. Das rote Blinklicht ist verdeckt, aber für den Fall, daß wir es
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