Friedhof der Kuscheltiere
Louis mit gewollt beiläufigem Tonfall.
»Ja!« sagte Ellie betrübt. »Ja, das tut er! Er hat noch nie so komisch gerochen! Er riecht -- er riecht wie Aas.«
»Vielleicht hat er sich in irgendetwas gewälzt, Kleines«, sagte Louis. »Aber einerlei wonach er riecht -- das gibt sich wieder.«
»Das hoffe ich doch sehr«, sagte Ellie mit fast tragikomischer Stimme. Dann ging sie hinaus.
Louis fand die letzte Gabel, spülte sie und zog den Stöpsel. Er stand an der Spüle und blickte in die Nacht hinaus, während das seifige Wasser mit dumpfem Gurgeln abfloß. Als die Geräusche aus dem Abflußrohr verstummt waren, konnte er den Wind draußen hören, einen scharfen, böigen Wind von Norden, der den Winter mitbrachte, und er begriff, daß er Angst hatte, ganz einfach Angst, auf die gleiche stupide Art, auf die man Angst hat, wenn sich plötzlich eine Wolke vor die Sonne schiebt oder man irgendwo ein Ticken hört, das man sich nicht erklären kann.
»Neununddreißig-fünf?« fragte Rachel. »Großer Gott, Lou! Bist du sicher?«
»Es ist ein Virus«, sagte Louis. Er versuchte sich von Rachels Stimme, die fast anklägerisch klang, nicht aufbringen zu lassen. Sie war erschöpft. Es war ein langer Tag für sie gewesen; sie hatte mit ihren Kindern das halbe Land durchquert. Und nun war es elf Uhr, und der Tag war noch nicht vorüber. Ellie schlief fest in ihrem Zimmer. Gage lag auf Rachels Bett in einem Zustand, für den Halbbewußtsein das beste Wort war. Vor einer Stunde hatte Louis ihm die erste Dosis Liquiprin gegeben. »Das sollte das Fieber bis zum Morgen herunterbringen.«
»Willst du ihm kein Ampicillin oder so etwas geben?«
Geduldig sagte Louis: »Wenn er Grippe hätte oder eine Streptokokken-Infektion, dann täte ich es. Aber die hat er nicht. Es ist ein Virus, und bei Viren richten Antibiotika nichts aus. Sie würden nur Durchfall auslösen und ihm noch mehr Flüssigkeit entziehen.«
»Bis du ganz sicher, daß es ein Virus ist?«
»Wenn du einen anderen Arzt zuziehen willst«, fuhr Louis auf, »kannst du das gern tun.«
»Deswegen brauchst du mich doch nicht anzuschreien«, schrie Rachel.
»Ich habe dich nicht angeschrien«, schrie Louis zurück.
»Doch, das hast du«, setzte Rachel an, »du hast geschrien...« Und dann begann ihr Mund zu beben, und sie hielt eine Hand vors Gesicht. Louis sah die tiefen, graubraunen Ringe unter ihren Augen und schämte sich.
»Es tut mir leid«, sagte er und setzte sich neben sie. »Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Entschuldige bitte, Rachel.«
»Nie beklagen, nie erklären«, sagte sie, um ein Lächeln bemüht. »Hast du uns das nicht einmal gesagt? Die Reise war eine Pest. Und dann hatte ich Angst, du würdest in die Luft gehen, wenn du einen Blick in Gages Kommode wirfst. Ich glaube, ich sollte es dir jetzt sagen, solange ich dir leid tue.«
»Warum sollte ich in die Luft gehen?«
Sie lächelte dünn. »Meine Mutter und mein Vater haben ihm zehn neue Anzüge gekauft. Einen davon hatte er heute an.«
»Mir fiel auf, daß er etwas Neues anhatte«, sagte er kurz.
»Mir fiel auf, daß es dir auffiel«, entgegnete sie und verzog das Gesicht, daß er lachen mußte, obwohl ihm kaum nach Lachen zumute war. »Und Ellie sechs Kleider.«
»Sechs Kleider!« sagte er und unterdrückte den Drang, laut herauszuschreien. Er war plötzlich wütend -- ganz erbärmlich wütend und verletzt auf eine Art, für die es keine Erklärung gab. »Warum, Rachel? Warum hast du ihnen das erlaubt? Wir brauchen doch nicht -- wir haben doch genug Geld...«
Er brach ab. Seine Wut hatte ihm die Sprache geraubt; einen Augenblick lang sah er sich selbst, wie er Ellies toten Kater durch die Wälder trug, den Plastikbeutel abwechselnd in der einen und der anderen Hand... und währenddessen war Irwin Goldman, dieser dreckige, alte Scheißkerl in Lake Forest, damit beschäftigt gewesen, die Zuneigung seiner Tochter zu erkaufen, indem er das weltberühmte Scheckbuch und den weltberühmten Füllhalter schwang.
Einen Augenblick lang fehlte nicht viel, daß er geschrien hätte: Er kauft ihr sechs Kleider, und ich habe ihren verdammten Kater von den Toten zurückgeholt, also wer liebt sie mehr?
Er biß die Zähne zusammen. Niemals würde er etwas dergleichen sagen. Niemals.
Sie berührte sanft seinen Hals. »Louis«, sagte sie. »Die Sachen sind von ihnen beiden. Bitte, versuch das zu verstehen. Bitte. Sie lieben die Kinder, und sie bekommen sie so selten zu sehen. Und sie werden alt.
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