Friedhof der Verfluchten
ihr Lebenswille. Er flammte regelrecht hoch wie Feuer, das einen neuen Sauerstoffstoß bekommen hatte, und sie tat instinktiv das Richtige.
Vielleicht war es der rechte Stiefel, der ihr das Leben rettete, denn es gelang ihr mit einer gewaltigen Kraftanstrengung, den Fuß aus dem Stiefel zu ziehen. Der heftige Ruck brachte sie aus dem Gleichgewicht, sie kippte nach links, prallte gegen den Grabstein und sah den untoten Koonz wieder dicht vor sich.
Sein grinsendes Gesicht war in wilder Vorfreude verzogen. Er sah das Opfer dicht vor sich, und er wollte es auf keinen Fall entkommen lassen. Modesty Blaine schlug mit dem Ast einfach zu. Es war eine in Panik geborene Reaktion, sie wollte sich das Monstrum nur vom Hals halten. Das Mädchen traf auch. Allerdings nur den Arm des ehemaligen Killers. Und der griff blitzschnell zu. Er drehte dabei seine Hand. Es gelang ihm, den Knüppel zwischen die Finger zu bekommen. Eisern hielt er fest. Dann zog er und hatte im nächsten Moment die »Waffe« an sich gerissen.
Modesty erschrak. Für mindestens eine Sekunde war sie unfähig, sich zu rühren.
Das nutzte der Zombie sofort aus. Er schlug ebenfalls, traf Modestys Schulter, und das Mädchen ging in die Knie. Modesty konnte sich auch nicht mehr abstützen. Sie bekam Kontakt mit dem weichen Friedhofsboden, rollte sich auf die Seite und kroch vor den zupackenden Händen des Untoten weg. Es gelang ihr, mit einer schnellen Bewegung auf die Beine zu kommen.
Wegrennen! Das war der einzige Ausweg. Sie musste flüchten und sich irgendwo verstecken, damit sie neue Kräfte sammeln konnte. Trotz der Angst und Panik war ihr klar, dass sie der Bestie nie richtig entkommen konnte. Der Zombie brauchte sich nicht auszuruhen, er würde weiterlaufen, bis in alle Ewigkeiten oder so lange, bis jemand seinem untoten Dasein ein Ende setzte.
Da war auch noch der zweite. Lee J. Floren, ihr ehemaliger Chef, hatte sich erhoben. Er lag nicht mehr, kniete und stierte aus weit aufgerissenen Augen zu Modesty hin, bevor er anfing, sich auf allen vieren dem Mädchen zu nähern. Ein Stein geriet dabei zwischen seine Finger, den er automatisch mitnahm und auch nicht losließ, als er sich auf die Füße stemmte.
Zum Glück hatte sich Modesty Blaine nicht nur auf Koonz konzentriert, sondern auch auf ihren ehemaligen Boss. Deshalb sah sie den Stein zwischen seinen Fingern und bemerkte auch, wie er den Arm hob, um auszuholen. Modesty zuckte zur Seite. Der Stein flog auf sie zu. Durch die schnelle Reaktion allerdings verfehlte er das Mädchen. Mit einem dumpfen Laut klatschte er gegen einen der Grabsteine. Modesty rannte jetzt. Sie schlug den Weg quer über den Friedhof ein. Die Richtung war ihr egal, sie wollte nur aus der unmittelbaren Nähe dieser beiden mordenden Ungeheuer entkommen.
Trotz ihrer Angst sah sie, dass sich die Szene verändert hatte. Inzwischen waren die Häscher des Grafen eingetroffen, Männer, die auf Pferden saßen, mit Lanzen und Schwertern bewaffnet, und sie sah auch den Graf selbst. Er hatte seine tote Tochter auf den Arm genommen, stand vor dem Grab und schaute den Mob an, der von den Reitern zusammengetrieben worden war.
»Ich verfluche euch!« brüllte er mit einer lauten, röhrenden Stimme. »Ich verfluche euch bis in alle Ewigkeiten. Nie sollt ihr und dieses Dorf mehr Ruhe haben. Die Stürme des Todes werden über euch hinwegbrausen und euch hineinreißen in den Strudel des Grauens. Brigadoon soll keine Ruhe finden. Nicht heute, nicht in zehn Jahren, nicht in hundert - niemals. Eure Seelen bleiben verdammt für alle Zeiten, und ihr werdet alle 100 Jahre zurückkehren, um den Schrecken von neuem zu erleben!«
Bei seiner schaurigen Rede bewegte er wild den Kopf, und jeder Dorfbewohner fühlte sich von ihm fixiert und auch angesprochen. Die meisten duckten sich, als hätten sie einen Schlag erhalten. Angst hatte sich in ihre Gesichter eingebrannt.
Doch der Graf war nicht fertig. »Ich habe meinen Häschern befohlen, euch zusammenzutreiben. Das haben sie gemacht, und ich werde euch dem Teufel übergeben. Alle, die ihr da seid.« Er lachte wild, freute sich, drehte den Kopf, und Modesty Blaine bekam für einen Moment die Chance, in sein Gesicht zu sehen.
Aus ihm sprach der Wahnsinn. Der Graf hatte ein bleiches Gesicht. Ein dunkler Bart wuchs in der unteren Hälfte. Die Augen erinnerten an zwei Kohlestücke, so düster waren sie. Überhaupt war der Graf eine düstere Erscheinung, ein Mann, der herrschen wollte und kein Pardon mit seinen
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