Friedhofskind (German Edition)
wieder da.«
Er lag unter einem Auto, das auf der Hebebühne nur ein Stück weit angehoben war, obwohl man es hätte weiter anheben können. Werter stand ein Stück abseits und sah zu ihnen herüber, und vielleicht war es Werter gewesen, der entschieden hatte, dass Kaminski auf dem Boden lag, eine kleine Übung darin, zu anderen Leuten aufzusehen. Werter hatte natürlich nicht gewusst, dass es gerade Lenz sein würde, der herkam, um mit Kaminski zu reden.
»Was willst du?«, fragte Kaminski zu Lenz hoch.
»Du bist rumgerannt und hast mit mir geredet, ohne mich zu sehen«, sagte Lenz.
»Du warst also da, hm?«
»Möglich«, sagte Lenz. »Ich wollte nur eines klären. Hör auf zu glauben, du müsstest Siri vor mir schützen. Ich kriege manche Dinge mit. Es ist lächerlich.«
Kaminski schob sich rückwärts unter dem Auto hervor. »Siri?«
»Frau Pechten, wenn dir das lieber ist.«
»Pech-Ton«, sagte Werter von dort, wo er mit verschränkten Armen stand und zuhörte. »Es ist der Name der Firma. Zwei Worte. Pech und Ton. Es ist nicht ihr Name.« Damit drehte er sich um und verschwand im Bürogebäude der Werkstatt, aber Lenz wusste, dass er sie weiter beobachtete.
»Ist das jetzt offiziell, dass ihr euch duzt, ja?«, fragte Kaminski. »Erzähl mir nicht, du hast sie gevögelt.«
»Halt die Klappe.«
»Ich glaube das auch nicht. Du weißt ja nicht mal, wie das geht.« Er trat einen Schritt auf Lenz zu, und Lenz fragte sich, ob Kaminski eigentlich nicht begriff, dass er einen Kopf kleiner war als er. »Soll ich’s dir noch mal zeigen?«, flüsterte er. »Willst du noch eine Nachhilfestunde haben? Kannst du kriegen, solange du dem Dirk nichts sagst, wenn er zurückkommt. Versteck dich doch wieder unter dem Trampolin, bitte, wenn du das brauchst …«
Lenz streckte eine Hand aus und packte Kaminski im Nacken. Er packte ihn wie einen jungen Hund, und Kaminski zuckte zusammen vor Überraschung. Lenz ließ all seine Wut in den Griff in Kaminskis Nacken fließen, und es war eine Menge. Kaminski riss die Arme hoch, um ihn abzuschütteln, aber es gelang ihm nicht, und für einen Moment war Lenz selbst verwundert. Er wusste, dass er groß war, aber er hatte nie darüber nachgedacht, ob er mehr Kraft hatte als andere Leute. Es war eine gefährliche Offenbarung, dass er sie hatte. Wenn ich will, dachte er, kann ich jemanden umbringen, ohne ihn irgendwelche Klippen hinunterzustoßen, es ist möglich.
»Warte du, bis du mich mit meinen Leuten zusammen triffst, nicht allein«, knurrte Kaminski leise. »Irgendwann wird Werter dich nicht mehr schützen können. Irgendwann reicht seine Autorität nicht mehr. Ich sorge schon dafür, dass hier keine verrückten Mörder frei herumlaufen, glaub mir.«
»Es wäre interessant, zu erfahren, wo du warst, als Frau Henning diesen überaus tragischen Unfall hatte«, sagte Lenz und ließ ihn los. Kaminski taumelte rückwärts, und Lenz sah im Augenwinkel, dass Werter aus der Bürotür getreten war.
»Logisch, ich bin im Geheimen ein Mörder«, sagte Kaminski, schüttelte seinen Kopf, wie um die geschundene Nackenmuskulatur zu lockern, und lachte. »Und die kleine Iris hab ich damals auch um die Ecke gebracht. Nur, dass das mehr als zehn Jahre vor meiner Geburt war. Du vergisst das gerne, Fuhrmann. Du bist ein Kind, aber du bist alt. Ich bin fast zwanzig Jahre jünger als du. Wenn man mich nicht überraschend angreift, bin ich der Wendigere von uns. Der Schnellere. Und ich bin der mit mehr Freunden.«
»Warum?«, flüsterte Lenz. »Warum hast du es auf mich abgesehen? Ist es, weil du ein Held sein willst, der einen Mörder zur Strecke bringt?« Er schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete er sich selbst. »Das ist es nicht. Ich bin einfach nur anders. Und vor Dingen, die anders sind, hast du Angst. Deshalb musst du mich loswerden.«
»Lass ihn los, Fuhrmann«, sagte Werter laut und deutlich und ohne Widerspruch zu dulden.
Lenz hob beide Hände, um ihm zu zeigen, dass er Kaminski nicht mehr festhielt.
»Deine Augen«, sagte Werter. »Du hältst ihn mit deinen Augen.«
Lenz sah weg, blinzelte, schüttelte den Kopf und wandte sich zum Gehen.
»Die Kleine!«, rief Kaminski ihm nach. »Siri! Die ist weg, oder? Nach Berlin ist sie. Die siehst du nicht wieder. Also wozu das Ganze?«
Und dann wurde es Abend, und als Winfried im Bett lag, wurde es still und dunkel in Lenz, so still und dunkel, als wäre er das Haus. Als wäre er das Dorf. Als wäre er die Vergangenheit, die hier für
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