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Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Appel
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Zugtiere wegführen. Dann sinkt für ihn wohl die schreckliche Nacht wie eine zweite Wüste auf die Wüste, und sein Herz wird des Wanderns müde. Geht ihm dann die Morgensonne auf, glühend wie eine Gottheit des Zorns, öffnet sich die Stadt, so sieht er in den Gesichtern der hier Hausenden vielleicht noch mehr Wüste, Schmutz, Trug, Unsicherheit als vor den Toren – und der Tag ist fast schlimmer als die Nacht. So mag es wohl einmal dem Wanderer ergehen; aber dann kommen, als Entgelt, die wonnevollen Morgen anderer Gegenden und Tage, wo er schon im Grauen des Lichtes die Musenschwärme im Nebel des Gebirges nahe an sich vorübertanzen sieht, wo ihm nachher, wenn er still, in dem Gleichmaß der Vormittagsseele, unter Bäumen sich ergeht, aus deren Wipfeln und Laubverstecken heraus lauter gute und helle Dinge zugeworfen werden, die Geschenke aller jener freien Geister, die in Berg, Wald und Einsamkeit zu Hause sind und welche, gleich ihm, in ihrer bald fröhlichen, bald nachdenklichen Weise, Wanderer und Philosophen sind. Geboren aus den Geheimnissen der Frühe, sinnen sie darüber nach, wie der Tag zwischen dem zehnten und zwölften Glockenschlage ein so reines, durchleuchtetes, verklärtheiteres Gesicht haben könne. – sie suchen die Philosophie des Vormittages.» Am Ende von «Menschliches, Allzumenschliches II» berät sich der Wanderer ein weiteres Mal mit seinem Schatten. Er beginnt Händel mit ihm, da dieser ihm seine Dienste anbietet, woraufhin der Wanderer fürchtet, dass der Diener sich damit unvermutet zum Herrn machen könnte oder aber sein Sklave bliebe, jedoch als Verächter seines Herrn ein Leben der Erniedrigung neben ihm führte, was ihm, dem Freigeist, genauso zuwider wäre wie der Fall der Beherrschung. Nur in einer Form, meint der Wanderer, könne er einen «hündischen» Schatten gebrauchen – und er verweist damit auf den «Kyniker» Diogenes von Sinope, der die Bedürfnislosigkeit predigte, völlige Unabhängigkeit des Menschen von der Außenwelt und allen konventionellen Verhältnissen, den Philosophen als «Enfant terrible», autark und sich selbst genug, der den großen Alexander gebeten haben soll, ihm aus der Sonne zu gehen. «Gehe mir ein wenig aus der Sonne» , sagt der Schatten zum Wanderer, «es wird mir zu kalt.» Der Wanderer fragt: «Was soll ich tun?» , und der Schatten antwortet: «Tritt unter diese Fichten und schaue dich nach den Bergen um; die Sonne sinkt» , woraufhin der Wanderer nur noch fragen kann: «- Wo bist du? Wo bist du?» Es ist der längste Tag im Jahr, und die Sonne erreicht ihren höchsten Stand zu dieser Stunde der Unterredung, in der der Schatten am Ende nicht mehr zu sehen ist. Viele Masken trägt er, der Wanderer im Gebirge, in luftigen Höhen, auf unwegsamen und mühsamen Pfaden, an Schluchten und Abgründen. Und Diogenes, von dem es hieß, er habe mittags auf dem Markt von Athen mit der Laterne nach «Menschen» gesucht, wird in abgewandelter Form noch einmal bei Nietzsche auftauchen: als «toller Mensch» in der «Fröhlichen Wissenschaft», der Gott sucht mit der Laterne, um dann zu erklären, dass Gott tot ist. Aber braucht nicht der Tiefsinn die Maske? Freie Geister, so scheint es, verfügen über ein endloses Arsenal schillernder Masken, um in jeden verborgenen Winkel mit ihrer Laterne hineinleuchten zu können und um die unausweichlichen Schatten, die auch sie werfen, in ihre Wanderschaft einzubeziehen. Auf dem Tiefpunkt seines Lebens sucht Nietzsche, der Wanderer, den die Krankheit endlich auch von den Büchern erlöst hat, fremden «Ichs», wie er sagt, die sein Ich unterminierten, sein Selbstdenkertum, noch den Schatten als Erquickung versprechenden Begleiter auf seinen Wegen. Hinsichtlich seiner Reisepläne schreibt er am 2. August aus St. Moritz an seine Schwester: «Der Apotheker aus Mentone, den ich sprach, sagte zu mir: «Dieganze Riviera hatkeinen Schatten!» Da ist es nichts, denn die Augen halten’s nicht aus!! (selbst hier muß ich, wenn ich schlechtere Tage habe, bis 4 warten, ehe ich eine schattige Straße habe – tödtlich langweilig obendrein: überdies ist es so wünschenswerth, gerade an solchen Tagen im Freien zu sein) Ich habe an Meran Bozen vor allem Riva am Gardasee gedacht (von hier alles ziemlich nah) Riva hat von ½ 2 Uhr an Schatten.» Venedig und Genua wurden indessen seine längeren Aufenthalte im kommenden Jahr.
    Der Wanderer hatte äußerst schwer realisierbare Ansprüche an die klimatische Beschaffenheit seiner

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