Friesenrache
metallenen Henkel und ließ ihn laut gegen das Holz der Tür schlagen. Nichts. Er klopfte erneut. Wieder nichts.
»Scheint niemand da zu sein«, bemerkte Tom, ging zu einem der niedrigen Sprossenfenster und spähte hindurch. Innen war alles landestypisch eingerichtet. Schwere alte Eichenmöbel, eine große Standuhr mit Messingpendel, Bilder mit Schiffmotiven und ein riesiger Kachelofen.
»Oh, wie schön«, entfuhr es Marlene. Sie war neben ihn getreten und blickte nun ebenfalls in Barnes Wohnzimmer.
»Ihr könnt doch nicht einfach in fremde Leute Häuser spähen!«
Haie war hinter die beiden getreten. Trotz seiner tadelnden Worte beugte er sich jedoch selbst ein wenig vor, um besser sehen zu können, was sich hinter dem Fenster verbarg.
»Na, da hat er sich aber mal anständig was geleistet! Früher hat er eher bescheiden gelebt!«
Marlene drehte sich zu ihm um und fragte, wie er das meine. Die Einrichtung sei hübsch, aber sicherlich nicht exklusiv.
»Was meinst du denn, was das alles hier gekostet hat?« Haie trat einen Schritt zurück und fuchtelte wild mit seinen Armen herum. Die Versicherungssumme von Birthe musste beachtlich gewesen sein.
»Egal«, unterbrach Tom seine Ausführungen über Barnes Vermögensstand, »er ist jedenfalls nicht da. Was machen wir jetzt?«
»Dann müssen wir eben später wiederkommen«, stellte Marlene folgerichtig fest, »schließlich wollten wir ja mit Barne sprechen.«
»Ich latsch auf keinen Fall den ganzen Weg noch mal hierher!«, maulte Tom.
Haie verdrehte die Augen, schlug dann aber vor, sich Fahrräder auszuleihen. Gleich in der Nähe vom Hotel hatte er einen Fahrradverleih gesehen. Als ambitionierter Radfahrer hatte er allerdings hehre Ziele.
»Wir könnten eine Inselumrundung unternehmen.«
Tom, der sich an seine Radtour mit Marlene auf Amrum vor circa zwei Jahren erinnerte, bei der sie ihm beinahe davongeradelt war, zeigte wenig Begeisterung.
»Um die ganze Insel? Bei dem Wind?«
Marlene lachte ob seiner Argumente. »Komm, Schatz,
so weit ist das nun auch wieder nicht. 37 Kilometer wirst du ja wohl schaffen. Und Wind ist hier oben im Norden nun wirklich keine Ausrede – den hast du hier fast immer.«
Der Fahrradverleih lag nur wenige Straßen entfernt von ihrer Unterkunft. Auf einer Art Vorhof standen die unterschiedlichsten Räder. Mountainbikes, Kinderfahrräder, BMX-Räder, Tandems.
Haie entschied sich für ein baugleiches Modell seines eigenen Drahtesels, während Tom und Marlene das Experiment Tandemfahrt wagen wollten. Keiner von beiden hatte je zuvor auf solch einem doppelten Gefährt gesessen, und so gestalteten sich die ersten Meter als äußerst wackelig und unkoordiniert. Doch schon bald hatten die beiden einen gemeinsamen Rhythmus gefunden und traten kräftig in die Pedale, sodass selbst Haie als geübter Radfahrer Mühe hatte, dem vorgelegten Tempo Paroli zu bieten.
Sie folgten dem Weg hinterm Fährhafen am Deich entlang. Der Mann vom Fahrradverleih hatte ihnen den Weg um die Insel knapp beschrieben. »Immer am Meer entlang, dann kommen Sie irgendwann automatisch wieder hier an.«
Anfänglich kamen sie zügig voran. Nur ab und an behinderten einige Schafgatter ihre Fahrt. Aber bereits nach kurzer Zeit hatten sie eine ausgefeilte Taktik zur Überwindung dieser Hindernisse ausgearbeitet. Immer wenn sie in absehbarer Entfernung einen Zaun ausmachten, drosselten Tom und Marlene ihr Tempo und ließen den Freund vorausfahren. Haie, dem das Auf- und Absteigen von seinem Drahtesel weitaus weniger Probleme bereitete, sprang kurz vor dem Gatter aus dem Sattel, öffnete es und ließ die beiden passieren. Nach etwa fünf Toren beherrschten sie dieses Szenario so perfekt, dass sie geradezu nach der nächsten Schafssperre Ausschau hielten.
Nach gut zehn Kilometern endete allerdings der geteerte Weg.
»Und was nun?« Tom blickte etwas ratlos auf den holprigen Pfad, der sich an der Außenseite des Deichs entlangschlängelte.
Haie stieg von seinem Fahrrad ab und schob es den Deich hinauf.
»Hier ist auch kein Weg!«, rief er ihnen von der Deichkrone aus zu. Er stieg wieder auf und ließ sich die Anhöhe hinunterrollen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihre Fahrt über die beschwerliche Buckelpis te fortzusetzen. Die Schafe am Deich schauten den ungewohnten Passanten neugierig hinterher.
»Mensch, ich kann nicht mehr. Halt mal an«, stöhnte Tom
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