Frisch gemacht!
Post.
Nachmittags bin ich fertig. Reif für die Nervenheilanstalt. Habe ich denen von der Krippe eigentlich je Blumen mitgebracht
oder Pralinen? Muss ich unbedingt mal machen. Das ist ja Wahnsinn, was die täglich leisten. Will schickt mich eine Stunde früher nach Hause. »Pack das ein und geh«, herrscht er mich an, »es langt für heute.« Mir auch.
Zwei weitere Tage ähnliches Programm. Es ist kein Vergnügen, aber machbar. Mittwochabend erinnere ich meinen Liebsten, dass er morgen dran ist. Er lacht. Hält das für einen Scherz. »Andrea, bitte, mach dich nicht lächerlich. Ich bin morgen vor Gericht, und wir haben Sitzung. Da musst du dir schon was anderes einfallen lassen. Ich hätte sie eh mit meinen Eltern in den Süden geschickt. Und wir hätten sie dann da abgeholt.« Hättste, wennste, wärste. Der glaubt, ich mache einen Witz. Das werden wir schon sehen. Morgen früh ist die Stunde der Wahrheit.
Es ist tatsächlich die Stunde der Wahrheit. Als ich aufstehe, ist der Gnädigste schon aus dem Haus. Hinterlässt nur einen Zettel: Ich wünsche euch beiden einen schönen Tag. Raffiniert. Schön aus der Affäre gezogen. Wenn ich heute wieder mit Claudia im Funk auflaufe, dann gibt es Ärger. Die Wut steigt in mir hoch. Und es ist niemand da, an dem ich sie auslassen könnte. Na warte, Freundchen. Nicht mit mir. Nix. Andrea Schnidt hat schon Härteres hinter sich. Schließlich habe ich schon mal geboren, da lasse ich mich doch nicht so verarschen. Ich packe einen kleinen Kinderversorgungsbeutel, ziehe Claudia nett an und fahre Richtung Kanzlei.
Christoph ist nicht da. »Am Gericht«, lässt mich die Vorzimmerdame wissen. »So«, sage ich und nehme meinen ganzen Mut und die Wut zusammen, »leider hat er eine
Kleinigkeit zu Hause vergessen. Hier ist sie. Die Kleinigkeit heißt Claudia.« Mit diesen Worten drücke ich der verdatterten Frau Trundel meine Tochter in den Arm. »Ja denn, liebe Grüße an meinen Gatten, und einen schönen Tag auch«, begebe ich mich auf den Rückzug. Jetzt nur nicht schwach werden, Andrea. »Gatten, wieso Gatten, haben Sie geheiratet«, will die verdutzte Frau Trundel wissen. Neugierige Trine. »Nee«, sage ich und ziehe die Tür hinter mir zu. Ich höre noch wie die Trundel »halt, halt, Frau Schnidt« schreit, aber ich überhöre es. Auf dem Weg ins Büro fühle ich mich wie die Rächerin der ausgebeuteten Mütter. Eine Heroin. Im Hinterkopf habe ich aber auch ein kleines nagendes Gefühl, das sich schwer vertreiben lässt und permanent zu mir sagt: Böse, böse. Das arme Kind. Wie konntest du nur? Hoffentlich ist sie lieb zu Claudia. Lässt sie nicht einfach irgendwo rumliegen. Aber so wie die Trundel auf Christoph abfährt, würde sie das seinem Kind sicherlich nicht antun. Oder? Ich fühle mich mies, aber im Sender sind alle erleichtert. »Prima, Andrea«, meint Tim, »ran an den Speck. Jetzt kannst du wieder richtig arbeiten.« So schlimm war es mit Claudia nun auch nicht. Ich bin kaum zwanzig Minuten am Arbeitsplatz, da klingelt mein Telefon. Es ist die Kanzlei, ich kann es deutlich auf dem Display sehen. ISDN -Zauber. Nur nicht rangehen. Wenn die mich erst am Wickel haben, gebe ich bestimmt nach. »Tim, geh du mal ran, egal wer es ist, ich bin nicht da, denk dran«, gebe ich ihm genaue Anweisungen. Ich lausche. Höre: Ja, das sehe ich natürlich ein, schwierige Situation, leider keine Ahnung, wo sie sich rumtreibt. In einer Minute hat Tim die Trundel abserviert. Respekt. Er kann kaum glauben, was ich gemacht habe.
Ich kann es selbst kaum glauben. Boah, wird das einen Ärger geben.
Aber es gibt Dinge im Leben, die müssen sein. Um einen Rest Selbstachtung zu bewahren. Das Telefon geht im Zwanzig-Minuten-Rhythmus. Die Trundel scheint neben dem Babysitten noch richtig viel Zeit zu haben. So schlimm kann es also gar nicht sein, versuche ich mich zu trösten. Christoph wird kochen. Habe ich ihn eigentlich schon mal so richtig wütend erlebt? Christoph ist ein eher gelassener Mensch. Vor allem, wenn er bekommt, was er will, und ansonsten in Ruhe gelassen wird. Als klassisches Einzelkind ist er genau das gewohnt. Mami und Papi machen, was der Herr Sohn will. Schon weil sie so kolossal stolz auf ihn sind. Ein studierter Jurist war mehr, als sie zu hoffen gewagt haben. Dass so ein beruflich geforderter Mensch auch mal ein bisschen gereizt ist – kein Problem für Rudi und Inge. »Bei dem, was der Bub leistet, muss mer aach emal Rücksischt nehme«, haben sie mir
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