Fröhliche Zeiten
Verschlingungsbereit. Lässig ruhte die um den Nacken des Tänzers gelegte Rechte.
Jeder sah die Gefahr, falls sie die verwöhnten Krallen ausfahren würde. Doch sie dachte nicht daran, blieb sanftes Raubtier, das spielt, zärtlich-grausam, ihre Möglichkeiten nur andeutend, eine stolze Schlange vom Baume genauester Kenntnis und wie geschaffen für dieses Paradies: Inge von Österreich, Schauspielerin und Axel von Ambessers Frau.
Einmalig, unnachahmbar einmalig wollte Fabius von Gugel erscheinen. Als Maler fühlte er sich zu einem optisch ganz eigenen Auftritt verpflichtet. Sein Kostüm sollte alle überragen. Er kam als Hirsch. Nicht gehörnter Ehemann, nein, König des Waldes mit majestätischer Krone aus sechzehn spitzen Symbolen männlicher Kraft. Sein Aufwand war beträchtlich, die Verwandlung kostete viel Zeit, das unerbittliche Malerauge forderte letzte Perfektion. Nicht nur farblich, auch technisch. Die Traumnacht hatte bereits begonnen und noch immer fielen die sechzehn Enden bei jeder Kopfbewegung um. Zog er den Kinnriemen fester, ließ sich der Mund nicht mehr öffnen, lockerte er ihn wieder, neigte sich der Potenzturm in Zeitlupe nach irgendeiner Seite. Wie im Fieber bastelte der säumige König des Waldes an einer umschnallbaren Versteifung. Bis sie endlich hielt und er sich anschicken konnte, seinen Auftritt mit gewaltigem Röhren anzukündigen, hatte der Hahn längst gekräht, gehörte das ferne Revier den Nebenbuhlern. Mit einem letzten verzweifelten Gebrüll streifte der gehörnte Platzhirsch seine Krone ab und setzte sich in der traumlosen Kulisse seiner vier Wände an den Frühstückstisch.
Vor dem Aufbruch der Jugend zu neuen Daseinsformen blieb es den Schauspielern Vorbehalten, sich das ganze Jahr hindurch zu kostümieren. Jeweils der Rolle entsprechend. Das macht es verständlich, wenn im Fasching manchem der Spieltrieb durchging. Zum Gaudium seiner Kollegen.
»Morgen wirst du mich nicht erkennen !« versicherte Herta Saal, die erste Frau von Karl Schönböck, dem nicht minder verwandlungsfreudigen Axel von Ambesser. Solchermaßen vorprogrammiert sah sich Freund Axel während eines langen Tanzes mit der hochbegabten Anfängerin Gertrud Kückelmann gründlich um. Hinter welcher Verkleidung mochte Herta Saal stecken?
Der Tanz dehnte sich. Nahtlos reihte die Kapelle ein Stück an das andere. Immer wieder tanzte ein Paar neben sie, die Frau in figurverhüllendem schwarzen Gewand, das Gesicht mit einer schwarzen Kordelperücke verhängt.
»Wer bin ich denn? Wer bin ich denn ?« flüsterte die Dunkle ihm jedesmal zu.
»Herta !« antwortete Freund Axel geduldig. »Ich hab’ dich doch längst erkannt .«
»Kücki«, wie Gertrud Kückelmann genannt wurde, gab keinen Kommentar. Vergnügt sah auch sie sich um, betrachtete die Masken sehr genau. Als die Schwarzgewandete mit der Kordelperücke wieder einmal in die Nähe kam, stand ihr Urteil fest. »Die tollste Maske ist doch der Hubsi von Meyerinck .«
Freund Axel korrigierte. »Du meinst Herta Saal .«
Kücki widersprach, Axel widersprach. Schließlich fragten sie direkt. Sofort unterbrach die Schwarze ihren Singsang »Wer bin ich denn? Wer bin ich denn ?« Langsam nahm sie die Kordelperücke ab. Zum Vorschein kam eine glänzende Glatze. Es war Hubert von Meyerinck.
Bald fand sich auch Herta Saal. Obwohl ihr die Verwechslung mit Hubsi nicht unbedingt gefiel, machte sie den Triumph erst perfekt. »Ich hab’ dir ja gesagt, du wirst mich nicht erkennen .«
Die Verkleidungslust übertraf alles bisher Dagewesene. Man trieb kindlichen Aufwand an Phantasie und Zeit. Nicht aus Ehrgeiz zu brillieren, das Unterbewußtsein spielte lang verhaltene Trümpfe aus, schmückte die wiedergewonnene Freiheit mit allen Lieblingsrollen auf einmal.
Eine Programmbeilage wies Wochen davor auf die Feste hin. Unter dem Titel Die Traumkulisse im Lichte der Weltliteratur hat sich Franz Josef Wild als Parodiertalent vorgestellt, Brecht, Morgenstern, Heine, Goethe. Hier seine Version der Paralipomena zu Faust II
Faust: Es schwingt der Geist sich auf der Welt zu trotzen und baut sich eine höhere Wirklichkeit —
Mephisto: Sagt’s doch heraus, der Plunder ist zum Kotzen,
aus Tünche, Leim und Dreck und Eitelkeit.
Faust: Du, Spottgeburt, wirst nie von Höherem wissen, begreifest nicht die heilige Phantasie —
Mephisto: Verliebter Narr, wie deine Traumkulissen von hinten ausseh’n, das begreifst du nie!
Faust: Die niedre Knechtschaft deiner tierischen
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