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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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»Sieh an !« sagten sie, »dich gibt’s auch noch.«
    Leider hatten beide keine Zeit für eine Tasse Kaffee. Worüber miteinander reden? Man verblieb halbherzig. Man könne sich gelegentlich mal anrufen. Über ein Treffen sagte keiner ein Wort.
    Gespräche fielen unter Entfremdung.
    Wenn man sich fortan begegnete, bei einer offiziellen Veranstaltung oder in repräsentativem Rahmen, vielleicht auf Festspielen, verhinderten Geschäftsfreunde, unbekannte Ehepartner oder Verwandte, daß man zusammenblieb. Dabei tat die Begegnung so gut, der Blick in zwei von der Erinnerung retouchierte Augen wirkte verjüngend — gerade jetzt, nach überstandenem Infarkt — und der Wunsch, sich endlich einmal in Ruhe zu sehen, den ganzen alten Kreis, kam aus tiefstem Herzen.
    Herrgott, wie lang war das her? Alle würde man gar nicht mehr zusammenbringen. Während man noch überlegte, wo der oder die stecken könnten — man kam nicht gleich auf die Namen — verdichtete sich der Druck der eigenen Begleitung zu körperlichem Schmerz. In aller Eile tauschte man Visitenkarten, nickte den Fremden entschuldigend zu, während man die vertraute Hand drückte, herzlich und wehmütig zugleich. Vielleicht zum letzten Mal.
    Das Gespräch fiel unter gescheiterte Seelsorge. Gescheitert an der Umwelt. Dabei hätte man’s dringend gebraucht. Aber man hatte ja die Telefonnummer.

Das Blatt beschreibt sich

    Bei den Schwänen ist es anders. Die jagen ihre Jungen fort, sobald sie kräftig genug sind, mit dem Leben allein zurechtzukommen. Junge Menschen dagegen werden zunächst mehr oder weniger probeweise hinausgeschickt. Von fern beobachtet das Elternhaus ihre ersten selbständigen Schritte und hilft mit flankierenden Maßnahmen über Klippen hinweg. Scheine festigen den Schein.
    Kommt ein Krieg dazwischen, ähnelt der Menschensohn mehr dem Jungschwan. Nicht daß die Eltern ihn aus dem Nest jagen würden; das gibt es vielleicht gar nicht mehr, und er muß sowieso sehen, wie er zurechtkommt. Sollte es, wenn auch nicht unbeschädigt, noch vorhanden sein, fühlt er sich aus Instinkt zu sehr als Schwan, um die Entwicklung zurückzudrehen und sich, nach allen bestandenen Gefahren, wieder versorgen zu lassen.
    Mir jedenfalls schwante, trotz des Angebots elterlicher Hilfe, daß sich ein ehemaliger Soldat auch in Zivil allein freischwimmen müsse. In meinem merkwürdigen Beruf schien mir die Probe unerläßlich, ob ich mich würde über Wasser halten können. Kein monatlicher Scheck sollte mich darüber hinwegtäuschen.
    Mit selbstverfaßten zeitkritischen Schwanengesängen bewarb ich mich beim Leiter der Kabarettabteilung des Bayerischen Rundfunks, Doktor Theo Riegler. Dessen Sendereihe Rieglers Nudelbrett kam bei den Rundfunkhörern besonders gut an und garantierte auf Sommertournee ausverkaufte Vorstellungen.
    Marco Bosnian Sanetic, wie sich Theo Riegler in Erinnerung an einen dalmatinischen Vorfahren gern nannte, war ein schwarzlockiger Mann mit Hornbrille, über dessen Steg eine senkrechte Stirnfalte den Choleriker verriet und überhaupt einer von undeutschem Temperament. Verbal brachial, dahinter sanft, von profundem Unernst, ein dynamischer Komödiant und Grotesktänzer mit Text und Bein. Für Pointen aus dem Stegreif konnte er sich derart begeistern, daß er darüber die Umwelt vergaß. Mir gefiel dieser bunte Mensch, ich versuchte mitzuhalten. Unterwegs auf ratterndem Thespiskarren verfertigten wir Schüttelreime. Einmal schüttelte es unter Mithilfe der Straße in einer Stunde zweiundfünfzig aus uns heraus.

    Nicht doch nach guter Speise reisen!
    Dann lieber nach der Reise speisen.

    Wie gut, wenn man die Rasse kennt,
    die immer gleich zur Kasse rennt.

    Ich seh’ da einen Hund graben
    Das muß doch einen Grund haben.

    Ein sogenannter Garderobenkomiker, über den die Kollegen hinter der Bühne mehr lachen als das Publikum, wenn er drobensteht, war der Doktor nicht. Der Spaß am Spiel kam ihm auch unter widrigsten Bedingungen nicht abhanden.
    Irgendwo im Bayerischen Wald mußten wir einmal wegen mangelhafter Organisation auf zusammengeschobenen Wirtshaustischen auftreten. In der Mitte dieser Bühne hing die Deckenbeleuchtung, eine riesige Milchglaskugel, genau in Kopfhöhe. Sie abzunehmen und durch einen mitgebrachten Scheinwerfer an anderer Stelle zu ersetzen, erlaubte uns der Wirt nicht.
    Mancher hätte sich geweigert, unter diesen Umständen überhaupt aufzutreten. Nicht so Marco Bosnian. Klaglos, ja animiert nahm er die Herausforderung an.

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