Fröhliche Zeiten
Premierenbesucher die meisten, über gewisse, nie gesehene Herren im Smoking. In ihren Programmheften hatten sie Zettel versteckt, von denen sie wie Schulbuben abspickten. Sie prägten sich Stichworte ein, Stichworte, vom Auftraggeber dem Bühnentext entnommen, um darauf mit Pfiffen zu antworten, bis der Vorhang würde fallen müssen. Empören durfte man sich ja. Es mußte nur schlüssig wirken. Das war kabarettistisch sauber.
Bei allen Unterschieden, die Artisten-, Film- und Sparvereinskreise trennt, hatten sie doch eine Wurzel: Das weltstädtische Kleinbürgermilieu mit seiner Ordnung, seinem Zusammenhalt, seinem selbstbewußten Auftreten. Eine gerissen-naive Welt, instinktsicher und von unerschöpflichem Mutterwitz.
Mittlerweile ist die unverblümte Schnauze beim Filmstab verstummt. Die Alten gingen, das Fernsehen kam, das Netz der sozialen Segnungen wurde engmaschiger. Für familiäre Improvisationen mit Spaß und Herz gab es bald keinen Platz mehr.
Wenn sich die Branche für Ilse Kubaschewskis Gloria- Filmball herausputzte, repräsentierten sie die Stars und Starlets. Aus spiegelnden Fimousinen stiegen sie in glitzernden Bühnenroben unterm Statusnerz, in Frack und Smoking mit Nelke im Knopfloch, sonnten sich im Scheinwerferlicht der Wochenschau, bevor sie in die Menge der Bewunderer und Autogrammjäger vor dem Eingang zum Ort des spektakulären Geschehens tauchten.
Ernste, ungeduldige Herren folgten ihnen, die niemand kannte. Produzenten, Verleiher, Produktionsleiter, Finanziers, Pressechefs, Drehbuchautoren, Komponisten, Regisseure, Ehemänner oder ständige Begleiter und Gäste.
Ein Star war nicht mehr das unnahbare Wesen wie vor dem Krieg. Er war zwar noch Günstling des Schicksals, doch schon Mitmensch auf Tuchfühlung, dem man das Autogrammbuch mit unüberhörbarer Bitte entgegenstreckte, ihn aber passieren ließ, auch wenn er nichts hineinschrieb.
Jahre später wurde der Star Volkseigentum. Mitleidlos eingekeilt, mußte er sich den Weg freisignieren oder er saß schreibend mit seinem Wagen fest und alle Bitten, ihn starten zu lassen, halfen nichts. Gab die Menge endlich den Weg frei, glich einer das soziale Gefälle mit einem Nagel aus, an dem er das anrollende Nobelblech entlangscheuern ließ.
Drinnen im Ballsaal blieb das Gedränge zwar erhalten, doch es störte nicht im Crème de la crème-Gefühl. Man schlängelte sich um seinesgleichen, um Prominenz aus verschiedensten Berufen. Auf der Tanzfläche schoben schwitzende Minister die Weibsblüten der Nation vor sich her, immer an der Bande entlang, vorbei an den Tischen der Größten, um sich gegenseitig im Schmuck des Partners zu zeigen.
Mehr zur Mitte hin schmiegte ein männlicher Star seine Charakterwange an ein Starlet, das den Andruck mit dem Becken erwiderte, als Stempel gleichsam unter einen Filmvertrag. Ein anderes Wesen dieser Art hatte sich vom Partner gelöst und gab, mit verheißungsvollem Lächeln im Sambarhythmus langsam um die eigene Achse sich drehend, eine Talentprobe aus quellendem Dekolleté. Manch betagter Faun hielt sich bei vorsichtigen Schrittchen mit beiden Händen an jungen Lenden fest, im Blick schon den Gipfel aller Wünsche. Der hieß für die Erwählte Monte Carriere, und sie würde dem Filmonkel folgen, ein paar Stunden später. Wie sonst keiner konnte der den Alterunterschied überbrücken — mit einem jungen Liebhaber, beim gleichen Spiel, vor der Kamera. Doch nicht wie im Nibelungenlied, nur als ob.
Nicht jeder Leinwandverführer erwies sich als solcher, nicht jede Diva hielt den Liebreiz, den sie in ihren Rollen auszustrahlen hatte. Die Körpersprache beim Tanz, der persönliche Magnetismus entziehen sich schauspielerischer Gestaltung. Dafür wurde um so inniger Frohlaune vorgeführt.
Unter Fotoblitzen räkelten sich ganze Gruppen bei hochgehaltenem Glase. An den Prominententischen gab es Bussis, weiter hinten lange Küsse. Man zeigte Sinnenfreude in unterschiedlicher Betonung, man zeigte Schmuck und Maßgarderobe, zeigte sich voll naivem Stolz und mimte im teuren Rahmen beste Gesellschaft. Wie vor der Kamera.
Warum wir Kabarettisten zu den Filmbällen eingeladen wurden, läßt sich nur ahnen. Vielleicht als Farbtupfer oder zum Beweis für vorhandenen Humor. Wir parodierten die Branche ja nicht gerade zimperlich. Fest auf der Gästeliste stand selbstverständlich Kabarettnestor Werner Finck. Einmal wurden wir unter falscher Flagge vorgestellt. Beim offiziellen Filmball im Deutschen Theater hatte man eine
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