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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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den Händen rudernd, mit der Stirn an einen Lichtmast stieß und langsam hinabrutschte. Er schüttelte den Kopf, um sein Gehirn wieder in die richtige Lage zu bringen, und drehte sich um. Unten auf der Bordsteinkante saß erbärmlich frierend ein kleines hutzeliges altes Männchen in langen weißen Unterhosen, einem zerfledderten weißen Unterhemd und handgestrickten grauen Socken. Das Gesichtchen verschwand fast hinter einem spitz zulaufenden langen weißen Bart, filzartige weiße Haare, die bestimmt schon lang keinen Kamm mehr gesehen hatten, standen wirr um den Kopf.
    »He, Alterchen«, stieß Johnny keuchend hervor und rieb seine schmerzende Stirn. »Meinst du, daß das der richtige Aufzug für so ein kaltes Winterwetter ist?«
    »Bitte«, flüsterte das Männlein. »Mir ist so kalt.«
    »Wart mal«, erwiderte Johnny, »bin gleich wieder da.« Er ging rasch zu der Glühweinbude und kehrte mit zwei dampfenden Bechern zurück. Er setzte sich neben den halb erfrorenen Greis und hielt ihm den Becher an den Mund. »Komm, ich helf dir, mit deinen zitternden Händen verschüttest du nur alles … ganz vorsichtig nippen, das Zeug ist verflucht heiß …« Der Alte nippte folgsam, stieß ein glucksendes Geräusch aus, umschloß den Becher fest mit beiden Händen und kippte den heißen Glühwein in einem Zug hinunter. Sogleich huschte Farbe über sein leichenblasses Gesicht, Nasenspitze und Wangen wurden rot, und er kicherte leise. Ehe Johnny es verhindern konnte, packte er den zweiten Becher und trank auch den leer.
    »He«, machte das Männlein. »Dass Zeugs schmecks aber gut, dass.«
    »Na, wohl bekomm’s«, lächelte Johnny.
    »Hups!« antwortete der Greis. »Jetz’ is’ mir warm … und lussig im Kopf …«
    »Wenigstens einer …«, sagte Johnny mehr für sich und wieder ein wenig traurig. Schließlich hatte er auch noch keinen Glühwein bekommen. Er riß sich zusammen und lächelte den Alten wieder an. »Und jetzt erzähl mir mal, wie du zu diesem Aufzug kommst.«
    Der Alte richtete zwei pechschwarze glänzende Augen auf ihn. »Ich bin beraubt worden!« erklärte er ziemlich klar, das R seltsam rollend. Nur zwischendurch hickste er leise. »Kannst du dir das vorstellen, Jungchen? Schlitten, Geschenke, Kleider … alles weg!«
    »Was!« rief Johnny. »Warst du schon auf der Polizei?«
    Der Alte sah an sich hinunter. »In Unterhosen? Die sperren mich doch gleich ein. Außerdem war mir so kalt, daß ich mich nicht mehr rühren konnte.«
    »Na ja, das stimmt … komisch siehst du schon aus … hör mal, wo wohnst du? Ich bin Taxifahrer, und ich kann dich …«
    »Nein, Jungchen, ich muß den Schlitten wiederfinden«, plapperte der Greis weiter, ohne auf ihn zu achten, »ich habe einen Auftrag … es ist ohnehin schon so spät … ich bin doch der Weihnachtsmann …«
    »Alterchen, was erzählst du da? Du bist doch Chinese.«
    »Na und? Was dagegen? Bist du Rassist? Wer sagt, daß der Weihnachtsmann Weißer sein soll?«
    »Zum Beispiel meine Oma. Da war ich drei, ich weiß es noch ganz genau, und sie hat’s mir erzählt. Und in allen Büchern kannst du’s lesen.«
    »Klar doch. Die Mehrheit der Christen war weiß … du mußt das verstehen … und überhaupt, euer Bild, das ihr euch von Gott macht, ist auch reichlich komisch.«
    Der spinnt, dachte Johnny. Das auch noch. Bestimmt ist er aus irgendeiner Klinik ausgebrochen. Vielleicht ist er sogar gemeingefährlich. Ich bin vielleicht blöd. »Wieso sollte ausgerechnet der Weihnachtsmann bestohlen werden?« versuchte er es mit vernünftigen Argumenten. »Du bist doch ein himmlisches Geschöpf, dir kann kein Mensch was antun, ob Weißer oder nicht.«
    »Und doch ist es passiert«, klagte das Männlein. »Ein Schlag auf den Kopf, und alles war weg! Hick!« Er schielte vertrauensvoll zu Johnny hinauf. »Gibt’s noch was von diesem märchenhaften Getränk, mein Freund?«
    »Ich denke, du hast genug.«
    »Bitte. Mir wird schon wieder so schrecklich kalt. Mir war noch nie im Leben kalt, und das ist sehr lang …«
    »Das ist Glühwein, Alterchen. A-l-k-o-h-o-1.«
    »Das ist Alkohol?« flüsterte der chinesische Weihnachtsmann und verdrehte verzückt und berauscht die Augen. »Was habe ich versäumt …«
    Ach, was soll’s, dachte Johnny. Ich spiele seinen Vormund, einfach lachhaft. Warum soll der kleine Alte nicht auch mal was Schönes haben, verrückt oder nicht. Man macht sich das Leben immer so unnötig schwer. Er ging zum Taxi und holte seinen Mantel, in den er den

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