Frohes Fest!
hab’, daß meine Brötchengeber Arbeiter und Kunden beschissen haben. Großer Mann mit großer Keule haut kleinen Mann mit kleiner Keule. Wer am meisten Geld hat, regiert. Wer die Leute bescheißt, kommt zu Geld. Ist die Reihenfolge so weit klar? Ich hab’ mich selbständig gemacht. Ich bin ein Dieb. Ein lausiger Taschendieb, eine kleine Nummer, die für große Sachen zu feig ist. Irgendwo tief in mir hab’ ich nämlich immer noch einen Glauben an das Gute, ich weiß nicht warum. Darum das Taxi. Darum unterhalte ich mich mit dir! Weißt du, was ich bin? Eine dreckige kleine Ghetto-Ratte, die ihr Herz nicht vergessen konnte. Also laß mich in Ruh’!«
»Aber … vielleicht bin ich auch damals dagewesen, und du hast mich nicht erkannt …«, sagte der Alte und nieste so heftig, daß es seinen kleinen mageren Körper durchschüttelte. »Ich glaub’, ich bin erkältet«, schniefte er.
»Scheint mir auch so, Opa. Und verrückt bist du, aber ich hab’ dich gern. Nein, du kannst reden, was du willst. Das ergibt doch keinen Sinn.«
»Wunder sind Wunder. Wenn sie einen Sinn hätten oder erklärt werden könnten, wäre n sie keine Wunder mehr. So einfach ist das.« Der chinesische Weihnachtsmann nieste wieder. Johnny kramte nach einem Taschentuch, und das Männlein putzte sich geräuschvoll die Nase.
»Du meinst, ich empfinde es als ein Wunder, dich hier ausgeraubt zu finden?« meinte Johnny nachsichtig.
»Nein«, erwiderte der Chinese. »Aber ich. Und dieser Glühwein, der ist ebenfalls ein Wunder. Es ist bloß nie genug da …« Er griff nach Johnnys Hand, die den Becher hielt, zog sie an seinen Mund, trank den ganzen Rest und bekam den nächsten Schluckauf.
»Ja, und ein chinesischer Weihnachtsmann ist auch sehr verwunderlich.« Johnny fühlte sich nach diesem philosophischen Unsinn recht seltsam, noch seltsamer als vorher.
»Man tut, was man kann.« Der Alte lachte leise. »Es macht Spaß.«
»Hör zu, ich bring’ dich jetzt nach Hause.«
»Ich habe eine viel bessere Idee. Du holst mir noch einen Wein und hilfst mir bei der Suche nach meinem Schlitten.«
Johnny seufzte. Wahrscheinlich weiß er wirklich nicht mehr, aus welcher Klinik er entwischt ist. Ach, was soll der Scheiß. Heute verdiene ich sowieso nichts mehr, und ich mag den Kleinen wirklich, weiß der Teufel warum. Ich nehme ihn mit, vielleicht erkennt er unterwegs was wieder. Er brachte dem alten Mann den vierten Glühwein, zog ihn hoch und brachte ihn zu seinem Taxi. Der Chinese schwankte ziemlich, aber er war so leicht, daß Johnny ihn mühelos in den Wagen stopfen konnte.
»Eines mußt du mir versprechen, Alterchen«, sagte er, während er in den Fond kletterte, »falls tatsächlich ein Fahrgast auftauchen sollte, bist du ganz still, ja? Laber bloß nichts von wegen Weihnachtsmann und so, sonst landen wir beide im Irrenhaus. Ich hab’ mir dieses Weihnachten so sehr eine gute Flasche Schampus, ein Büchschen Kaviar, Weißbrot und einen riesigen Schinken gewünscht, und ich werde die Hoffnung nicht aufgeben, daß es doch noch was wird.«
»Versprochen!« quäkte der Greis, noch stärker das R rollend. »Du könntest doch ganz leicht an das Geld kommen, oder? Du bist doch ein Dieb?«
»Mann«, sagte Johnny genervt, »Mann, die Geschäfte bestehlen die Leute schon genug, und auf dieses Niveau bin ich wahrhaft noch nicht gesunken.«
Danach schwiegen beide, Johnny fuhr durch die Straßen, und sein seltsamer Begleiter lutschte am Wein und summte eine leise, glückliche Weise.
»Ist es warm genug?« fragte Johnny nach einiger Zeit nach hinten.
»Jungchen, solchen Komfort bin ich doch sonst nicht gewohnt. Ich fühle mich ausgezeichnet.«
»Na, prima.« Johnny schaltete das Autoradio an und pfiff leise vor sich hin. Der Chinese räusperte sich einmal, zweimal, dann begann er zu husten. Schließlich begann er leise:
»Außer …«
Johnny blickte in den Rückspiegel. »Was ist denn?«
»Es ist so eine furchtbar trockene Luft hier drin, da bekommt man schrecklichen Durst.«
»Ich halte bei der nächsten Tankstelle und hole dir eine Cola.«
»Willst du mich vergiften?«
»Ich denke, du hast Durst.«
Der Chinese hopste plötzlich von links nach rechts und deutete aufgeregt nach draußen. »Sieh mal, was für ein schöner Weihnachtsmarkt! Viel schöner als der erste! Jungchen, halt an, ich bitte dich!«
Johnny stoppte sofort und drehte sich um. »Das hast du also mit Durst gemeint. Warte hier, ich bin gleich zurück. Rühr dich bloß nicht vom
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