Frohes Fest!
Alten einwickelte. »Einen Moment, Opa. Ich hole dir noch ‘n Glühwein.«
»Du kannst mich Niki nennen«, sagte der Alte behutsam und unschuldig.
»Und ich bin Johnny«, erwiderte der Jüngere und ging zu der Bude. Er kam bald zurück, reichte dem Alten einen Becher und prostete ihm zu. Der Chinese trank diesmal in kleinen Schlucken, blühte dabei zusehends auf und wurde immer rosiger und fröhlicher. Er stupste Johnnys Knie an und neigte sich ihm zutraulich zu. »Was hältst du denn von Weihnachten?« fragte er im Verschwörerton.
»Nichts«, erwiderte Johnny. »Blödsinn. Als wenn ich jemanden nur zu Weihnachten lieb zu haben brauchte und ihn anschließend das restliche Jahr verprügle. Kommerz, bah.«
»Früher war’s was anderes …«
»Ach, hör doch auf! Einmal im Jahr konnten sich diese armen Schweine sattessen! Umgekehrt wär’s besser gewesen!«
»Lieber einmal im Jahr als nie … oder glaubst du, damals waren sie unglücklich an Weihnachten?«
»Nicht mehr und nicht weniger als heute auch. Wer’s im Herzen hat, war damals wie heute glücklich, wer nicht, na, der nicht. Und die Armen haben keinen Grund zum Glücklichsein, die hatten damals wie heute nichts zu fressen.«
Der Alte schwieg für einen Augenblick verblüfft. »Es kann doch ein Ansporn sein …«, sagte er vorsichtig. »Damals wurde die Hoffnung geboren …«
»…und gekreuzigt!« rief Johnny. »Glaubst du, daß er glücklich darüber war?«
»Darüber steht mir kein Urteil zu. Ich bin nur der Weihnachtsmann, und ich beschenke die Leute. Schenkst du denn nicht gerne?«
»Wenn ich jemanden hätte, schon«, gab Johnny zu. »Ich hab’ aber niemanden. Könnt’ mir ohnehin nichts leisten. Zu Weihnachten ist alles dreimal so teuer wie sonst. Und was soll’s auch? Die Reichen beschenken sich reich, die Armen arm. Es ist so wie immer. Von wegen Besinnlichkeit, stille Zeit … hat doch gar keiner Zeit dazu. Jeder muß Geld verdienen, da kann man nicht nachdenklich sein. Die Mutter hat den ganzen Tag Streß mit Putzen, Backen und Kochen, der Vater wird im Büro kaputt gemacht … und im Familienkreis gibt’s dann Krach. Der Baum steht schief, die Christbaumkugel gehört dorthin, nicht dahin, Mami, ich will meine Geschenke, Papi, die Eisenbahn gehört mir, und all so was. Ich hab’ das nie gehabt, meine Oma ist gestorben, als ich vier war, Eltern hab’ ich nie gehabt. Ich bin im Waisenhaus aufgewachsen. Weißt du, was es da Weihnachten gab? Eine Portion Extra-Prügel.«
»Und der Weihnachtsmann?«
»Ja, verdammt, wo warst du? Wo warst du, als ich dich brauchte und mich in den Schlaf weinte vor Kummer und Einsamkeit? Ach, hör auf mit dem Quatsch. Der Weihnachtsmann ist ein Märchen wie der Schwarze Mann. Ein Schmarrn.«
»Dann hältst du mich wohl für einen Schwindler?« fistelte der kleine Mann traurig.
Johnny seufzte, er wunderte sich über sich selbst, vor allem darüber, was er alles geredet hatte. Wahrscheinlich bekam ihm der Glühwein zu seiner sentimentalen Stimmung nicht. »Alterchen, du bist reizend, aber wie der Weihnachtsmann siehst du wahrhaftig nicht aus. Noch dazu als Chinese. Ein Weihnachtsmann ist dick, nicht so ein dürrer Hering, weiß, hat ein rundes Gesicht mit roten Wangen und einer roten Nasenspitze … na ja, das hast du beides, aber vom Glühwein … ja, und er trägt eine rote Mütze und einen roten Rock, und er hat wallende weiße Haare und einen lockigen weißen Bart, nicht so ein komisches Heu wie du! Und er lacht dieses Ho-ho-ho!«
»Würdest du lachen, wenn man dich all deiner Habe beraubt hätte?«
»Genau. Diese Geschichte mit dem Raub. Findest du nicht, daß das reichlich verrückt klingt?«
»Hupps«, machte der chinesische Weihnachtsmann. Sein Becher war leer. »Ja, schon. Wenn ich’s mir recht überlege, klingt es ein bißchen merkwürdig. Aber ich kann’s dir nicht beweisen, so leid es mir tut.«
»Na siehst du. Weißt du, bei all der Scheiße, die auf der ganzen Welt passiert – und vor allem mir –, glaube ich nicht mehr an Wunder.«
»Die Welt ist, wie sie ist. Der Mensch hat sie sich so geformt. Unserer Ansicht nach ist er volljährig und verantwortlich für das, was er tut. Sonst brauchten wir ihm keinen Verstand zu geben. Aber Kleinigkeiten können wir tun. Ein bißchen Glück …«
»Glück!« schnaubte Johnny. »Ich sag’ dir was, Opa. Ich bin vor fünfzehn Jahren aus dem Waisenhaus ausgerissen. Ich hab’ versucht, ‘nen anständigen Job zu kriegen, bis ich herausgefunden
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