Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
Vom Netzwerk:
aus und umarmte einen der Fremden, wobei er erklärte, er wäre ein Nachbar von ihm. Im nächsten Moment prallte er aber zurück, als er des schrecklichen Ausdrucks in dessen Gesicht gewahr wurde. Es war klar, daß die Fahrgäste der Kutsche hier ein weiteres Opfer des gleichen Schicksals vor sich hatten.
    Nachdem der Neuankömmling sich aus der Brandyflasche des Oxforder Gelehrten etwas gestärkt hatte, berichtete er, daß er selbst und einige Freunde zum Weihnachtsliedersingen unterwegs gewesen seien. Alle waren frohen Mutes gewesen, bis ein schauderhaftes, knackendes Geräusch ertönt sei, begleitet von dem Schemen eines Schattens, und nun befanden sie sich irgendwie in einer Welt, die nicht Teil der wirklichen Welt war.
    »Aber … da ist eine Straße und erleuchtete Fenster«, warf der Mann aus London ein. »Ist dies dort nicht der alte Antiquitätenladen, den Mrs. Nugent so geschäftstüchtig führt?«
    »Dann ist es mehr als nur verwunderlich, daß sich die Tür nicht öffnen läßt, und durch die Fenster kann man nichts außer dem rätselhaften, gelben Licht erkennen«, antwortete der Sänger. »Was einmal Häuser waren, mein verehrter Freund, ist jetzt nichts weiter als eine flache Leblosigkeit.«
    »Aber es existieren doch noch mehr Straßen … mein Haus liegt keine hundert Meter entfernt …«
    Des Sängers Gesicht war totenbleich. »Am Ende der Straße«, erklärte er, »befindet sich nichts außer einer weißen Pappe.«
    Ein anderer aus der Gruppe stieß einen erschrockenen Schrei aus, sprang durch die Öffnung und war sofort aus dem Gesichtsfeld verschwunden. Nach ein paar Sekunden konnten sie seine geschrienen Worte hören, die auch der Kutscher mir ins Gesicht brüllte: »Soll dieser Tag Dir bringen jedes Jahr / Liebe, Freude und Zufriedenheit!«
     
    Bedrohliche Alltäglichkeiten
    Einige der Frauen aus der Gruppe der Weihnachtssänger waren zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich hysterisch und bestanden darauf, sich unserer Gemeinschaft anzuschließen. Zu guter Letzt, nach einer hitzigen Diskussion, wurde beschlossen, zur Postkutsche zurückzugehen. Unter erheblichen Schwierigkeiten wurde dann Schnee, zusammen mit den glänzenden Plättchen, und das Gepäck der Reisenden so an der Abbruchkante aufgeschichtet, daß die Kutsche mit vereinten Kräften der Männer auf die Ebene hinuntergeschoben werden konnte.
    Von diesem Zeitpunkt an klingt der Bericht des Kutschers ziemlich unglaubwürdig. Es war wohl so, daß sie sich aufgemacht haben, einen anderen Ausgang in unsere Welt zu suchen. Dabei bemerkten sie zum erstenmal, daß die seltsamen Fenster eine Entsprechung am Himmel hatten. Wenn ich seine Phantasierereien richtig verstehe, dann waren das große, weiße Vierecke über ihnen, auf die irgend eine Macht ausufernde Sprüche von unvorstellbarer und entsetzlicher Banalität geschrieben hatte. Diese Entdeckung brachte den Mann aus London völlig aus der Fassung.
    Selbst jetzt noch klingt mir das verrückte Kichern des Kutschers in den Ohren: »Draußen vom Walde komm’ ich her und sage Euch, es weihnachtet sehr!« und dabei würde er wieder mit seinem Kopf gegen die Wand schlagen, in einem Takt, den ich in Ermangelung eines besseren Ausdrucks als den Rhythmus der Verse bezeichnen würde.
    Dann würde er mit den Füßen im Takt auf den Boden stampfen.
    »Fröhliche Weihnachten allen von Nummer27!«, würde er brüllen, »Von Tony, Pat und den Kindern. Erinnert Ihr Euch noch an Mallorca?«
    Und »Gönnt euch einen ordentlichen Braten dies Weihnachten!« Ein weiterer Spruch schien seinen Verstand in besonderer Weise anzugreifen, und ich kann nicht anders als mich zu fragen, was dieser arme Mann wohl gesehen haben muß. »Fröhliche Weihnachten von Deinem kleinen Schwänzchen!!!« In diesem Moment rief ich den Gärtner, der mir dabei helfen mußte, den Mann ruhigzustellen, denn sonst hätte er es fertiggebracht, sich in seinem Tobsuchtsanfall zu verletzen.
    Wie lange waren die Leute auf dieser furchtbaren Ebene? Wie es schien, befanden sie sich in einer Welt außerhalb der Zeit, so wie wir sie kennen, und suchten tagelang nach dem Ausgang in eine Welt, die mehr ist als nur ein Abziehbild.
    Und sie waren nicht allein.
    Es gab weitere Menschen, die sich auf der gleichen schrecklichen Reise befanden wie sie. Aber auch Monster.
    Ich befürchte, daß der Verstand des Kutschers vollständig verwirrt ist. Kein gesunder Mensch kann sich solche Dinge ausmalen. Da existierte ein Fenster, wenn man das Gebilde so nennen

Weitere Kostenlose Bücher