Frohes Fest!
›Watergate‹ zu tun? Nun, auch die Politik hat ihre Mythen, die schon in der Schule eingetrichtert und in sämtlichen öffentlichen Reden von Politikern auf nahezu rituelle Weise eingeschärft werden. An erster Stelle dieser Mythen rangiert die Vorstellung, daß unsere Spitzenpolitiker Männer der Weisheit, Redlichkeit und Hingabe an das Allgemeinwohl seien. Man sollte doch meinen, daß nach der Schulzeit nur ein kurzer Kontakt mit der Welt ausreicht, um skeptischere Ansichten zu fördern, aber der Wunsch, an den Weihnachtsmann und/oder den Präsidenten zu glauben, ist zu tief verwurzelt und alles andere als rational. Ich erinnere mich, daß in den ersten Wochen des Watergate-Skandals, also im Frühling 1973, meine Tante Aurelia äußerst bestürzt auf den Gedanken reagierte, daß Nixon ihr Vertrauen habe mißbrauchen können. Darin bestand für mich das eigentliche Wunder von Watergate – nicht in dem, was Nixon getan oder so ungeschickt zu vertuschen versucht hatte, sondern darin, daß die Menschen auf lange Zeit hinaus immer noch gewillt waren, ihn beim Wort zu nehmen.
Natürlich glaubt nicht jeder, der es auch behauptet, an den Weihnachtsmann. Es gibt gute Gründe, in dieser Angelegenheit zu lügen. Wenn alle Kinder plötzlich aufhörten, an den Weihnachtsmann zu glauben, wie wäre es dann um Weihnachten bestellt? Das ist eine ernste politische Frage, mit der sich die nun folgende Geschichte auseinanderzusetzen versucht.
Die ersten Enthüllungen gerieten am Tag nach dem Erntedankfest in die Schlagzeilen. Kaum war ein Jahr vergangen seit der epochalen Entscheidung des Obersten Gerichts, daß sämtliche Bürgerrechte schon vom fünften Lebensjahr an Gültigkeit haben sollten. Nach Jahrhunderten der Entmündigung und Repression war nun auch die letzte Minderheit endlich frei. Frei, um zu heiraten. Frei, um zu wählen und ein Amt zu bekleiden. Frei, die Zeit zum Schlafengehen selbst zu bestimmen. Frei, das Taschengeld nach eigenem Gutdünken auszugeben.
Für jene Gruppen des öffentlichen Lebens, die die Emanzipation der Youngster in Gang gesetzt hatten, brachen goldene Zeiten an. Ein typisches Beispiel war das Kaufhaus von Lord & Taylor, das sich während der zwei vorausgegangenen Jahre mächtig verschuldet hatte, weil zu der Zeit gerade Thermo-Körperfarben stark in Mode waren. Nachdem das Kaufhaus seinen Namen in ›Blöde Klamotten & Doofe Schuhe‹ geändert hatte, schnellten schon im zweiten Quartal von ‘79 die Erträge in Rekordhöhen. Im Unterhaltungssektor schaffte das Broadway-Musical I See London, I See France den absoluten Durchbruch, und zwar sowohl bei den Zuschauern als auch bei der Kritik. Der für die Our Own Times schreibende Theaterkritiker Sandy Myers stellte fest: »Ich finde, das Musical zeigt, wie toll unsere Kinder heutzutage drauf sind. Ich finde, jeder, der gerne singt und tanzt und solche Sachen macht, sollte hingehen und zugucken. Aber prüde Typen seien gewarnt: Die Witze sind ganz schön derb.«
Derselben Zeitung gehörten die detektivischen Reporter Bobby Boyd und Michelle Ginsberg an, die an einem denkwürdigen Novembermorgen die Weihnachtsmanngeschichte auseinanderpflückten. Unter dem fettgedruckten Aufreißer:
ES GIBT KEINEN WEIHNACHTSMANN!
berichtete Bobby, wie ihm vor einigen Monaten, als er etliche Truhen und Kisten im Haus seiner Eltern durchwühlt hatte, ein Kostüm in die Hände gefallen war, das auf den letzten Knopf genau dem des ›Weihnachtsmannes‹ entsprach, der am letztjährigen Weihnachtsabend zu den Boyds gekommen war. »Meine Seele«, schrieb der junge Gewinner des Pulitzer-Preises, »war hin und her gerissen zwischen Wut und Furcht. Der Gedanke, daß mir und meinen Brüdern und Schwestern auf der ganzen Welt jahrelang was vorgegaukelt worden war, machte mich wütend. Dann, als ich die Schwierigkeiten überblickte, die mir gegenüberstanden, fing ich vor Furcht zu zittern an. Wäre mir klar gewesen, daß mich die Spur der Schuld ans Schlafzimmer meines Vaters führen würde, hätte ich vielleicht einen Rückzieher gemacht. Natürlich war in mir schon früher ein Verdacht aufgekommen.«
Aber pure Verdächtigungen, so stichhaltig sie auch sein mochten, reichten Bobby und Michelle nicht aus. Sie wollten Beweise. Nach monatelanger, harter und herzzerbrechender Arbeit hatten sie nur Gerüchte, Andeutungen und widersprüchliche Behauptungen zu Tage gebracht. Dann, Mitte November, als sich die Geschäfte schon für Weihnachten rüsteten, traf Michelle mit
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