Froschkuss (German Edition)
Angelegenheit. Deshalb war es viel einfacher, diesen Job externen „Experten“ aufzubürden. Mit anderen Worten: Unternehmensberater veranstalteten in den Firmen ein riesiges Brimborium, nervten die Mitarbeiter mit ihren Fragen und diesem unsäglichen Beraterslang, um am Ende durch ihre Analyse die Kündigung von Mitarbeitern zu rechtfertigen. Oder die Firma wurde gleich aufgelöst und verkauft. Mich loszuwerden würde natürlich am einfachsten sein, denn mein Zeitvertrag lief im Oktober ohnehin ab. Vielleicht sollte ich endlich der Wahrheit ins Gesicht sehen und mir einen neuen Job suchen. Die Arbeitsmarktlage für Journalisten war allerdings katastrophal, gerade im Printbereich. Selbst etablierte Zeitungen und Zeitschriften verkauften immer weniger Titel pro Auflage und hatten deshalb auch immer schlechtere Chancen, Anzeigenkunden zu gewinnen. Vor allem für jüngere Menschen war das gedruckte Wort immer weniger von Belang. Die meisten surften lieber im Internet, um sich zu informieren. Seit es Smartphones gab, war dies auch überall möglich – zu Hause, im Auto, beim Einkaufen und im Wartezimmer von Ärzten. Statt in einer Zeitschrift oder einem Magazin zu blättern, klickten sich die Menschen mit ihrem Handy durch die virtuelle Welt. Ich hatte auch schon alle möglichen Stellenanzeigen im Internet durchforstet, aber für Redakteure und Journalisten sah es sehr mau aus. Wenn überhaupt wurden technische Redakteure gesucht oder solche, die sich mit Software, Smartphones und anderen IT-Themen auskannten, aber das kam für mich nun überhaupt nicht in Frage. Vielleicht sollte ich eine Umschulung machen? Allerdings hatte ich bislang überhaupt gar keine Idee, zu welchem Job ich mich noch eignen könnte. Schreiben war meine Leidenschaft und ich brachte auch gute Texte zustande, aber andere konnten das auch. Die Konkurrenz war riesig und immer mehr junge Leute drängten auf den Markt und waren bereit, für lächerlich wenig Geld zu arbeiten. Vielleicht sollte ich einmal zur Berufsberatung für Akademiker gehen? Ich blickte auf die Uhr meines Computers: Es war schon vierzehn Uhr, deshalb schnappte ich mir meine Tasche und meldete mich für eine Stunde bei Gitti ab. „Bin etwas essen“, rief ich ihr zu, „wenn irgendetwas los ist, könnt ihr mich ja auf meinem Handy erreichen.“ Gitti, die den Hörer ihres Telefons zwischen ihren Schultern und ihrem Kopf eingeklemmt hatte und in ihrem Terminkalender blätterte, nickte mir winkend zu. Ich schlenderte zur Holtenauer Straße, da es mir bis in die Innenstadt zu weit war. So richtig Hunger hatte ich nicht, deshalb holte ich mir nur eine Laugenstange beim Bäcker und schaute mir die Auslagen der Schaufenster an. Ich hasse Ungewissheit, das macht mich einfach nervös, und ich kann mich auf nichts mehr richtig konzentrieren. Deshalb war ich fast erleichtert, als ich eine SMS von Lars erhielt:
15:30 Uhr in mein Büro. Gruß Lars
Form- und liebloser geht es wohl nicht, dachte ich resigniert und steckte mein Handy zurück in meine Handtasche. Ich fragte mich, welche Rolle Lars spielte. Auf welcher Seite stand er eigentlich? Auf unserer oder auf der von Bernd Blome? Würde er um Citylight kämpfen und um uns, seine treuen Mitarbeiter? Oder würde er nur versuchen, seine eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen? Ich konnte das Ganze schlecht einschätzen, denn eigentlich kannte ich meinen Chef nicht wirklich. Da war nur ein Bild von ihm in meinem Kopf, das ich mir selbst zurechtgebastelt hatte und wahrscheinlich auch von meinen Gefühlen zu ihm verklärt war. Mit anderen Worten: Ich sah ihn durch die rosarote Brille. Würde er mich kalt lächelnd vor die Tür setzen? Obwohl wir schon so lange und gut zusammengearbeitet hatten? Ich knüllte die Tüte, in der meine Laugenstange gewesen war, zusammen und warf das Papier in den Mülleimer.
Als ich zurück in die Redaktion kam, stand die Bürotür von Lars schon offen. Gitti, die kaum aufschaute, als ich an ihrem Tresen vorbei ging, wies nur kurz mit dem Kopf in diese Richtung: „Er wartet schon auf dich, du kannst gleich reingehen.“ Ich hatte noch fünf Minuten Zeit, deshalb ging ich kurz in den Redaktionsraum, um meine Jacke auszuziehen und meine Tasche abzustellen. Sophie und Dominic blickten kurz auf und nickten mir aufmunternd zu. Sie wussten also auch schon Bescheid. Ich atmete zweimal tief durch, bevor ich das Büro meines Chefs betrat. „Moin“, begrüßte ich ihn betont fröhlich.
„Hi Sonia“, erwiderte er
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