Frost
Harlan oder in Red Oak.»
«Das tut mir leid.»
«Es ist, wie es ist», sagte er. «Sie wissen ja, die Zeiten ändern sich.»
Ich wusste es nicht, aber das behielt ich für mich.
Butch angelte sich noch eine zerdrückte Zigarette aus seiner Jackentasche und zündete sie mit einem Streichholz an. Dann schüttelte er es aus und sagte: «Vielleicht sehe ich Sie beide ja beim Frühstück, wenn ihr danach ist, natürlich.»
Ich nickte. Er drehte sich erneut um und ging.
Sara war immer noch im Badezimmer, also setzte ich mich auf das Bett und wartete. Mein Blick fiel auf den grünen Rucksack, der neben dem Bett lag. Sofort musste ich an Syl denken. Meine Hände begannen zu zittern, und ich verschränkte sie so fest miteinander, wie es ging.
Aber sie hörten einfach nicht auf zu zittern.
Einen Moment später hörte ich die Toilettenspülung. Sara kam heraus. Sie presste die Hand auf ihren Bauch.
«Hoffentlich geht das nicht die ganze Zeit so weiter», sagte sie.
«Sollte es denn besser werden?»
«Glaub schon.»
Sie stieg ins Bett und zog die Bettdecke hoch bis zum Kinn. «Wer war da eben an der Tür?»
Ich erzählte ihr von dem Frühstück.
«Igitt, hör auf damit!»
«Keinen Hunger?»
«O Gott, nein!»
«Wahrscheinlich gibt’s da sowieso nur Bananen und feuchte Muffins aus dem Automaten», sagte ich. «Ich hätte aber gern einen Kaffee.»
«Herrje, Nate, nun hör endlich damit auf!»
Aber ich redete immer weiter, warum, wusste ich auch nicht.
Ich musste alles aufzählen, was man frühstücken konnte, Eier und Speck, Rührei, Waffeln, Pfannkuchen und Ahornsirup.
Die Liste wurde immer länger und länger.
Ich hörte erst damit auf, als ich Saras Hände auf meinem Gesicht spürte. Sie kniete und hielt mein Gesicht zwischen ihren Händen. Ihr Blick war sanft und besorgt.
«Es tut mir leid», sagte ich, «ich weiß auch nicht, was mit mir los i …»
«Sch», machte sie und küsste mich zärtlich. Ich wünschte, dass sie nie mehr damit aufhören würde, aber dann tat sie es doch.
«Geht’s wieder?»
Ich nickte.
«Bist du sicher?»
Ich nickte.
«Das Schlimmste ist vorbei», sagte sie.
Ich schaute sie an, und einen Moment lang war ich versucht, ihr zu sagen, was in der Nacht passiert war. Schon hatteich meinen Mund geöffnet, um alles zu erzählen, aber ich ließ es dann doch bleiben und schaute weg. Irgendwann würde sie es erfahren, aber nicht jetzt. Es war schwer genug für sie, dass sie glauben musste, Syl sei im Auto gestorben. Sie war noch nicht bereit für die Wahrheit.
Sara küsste mich wieder, aber ich drehte mich weg.
Ich griff nach meinen Schuhen, schlüpfte hinein und nahm die Jacke vom Stuhl.
«Nate?»
«Ja?»
«Bist du sicher, dass es dir gutgeht?»
«Alles okay.»
Sie zögerte. «War es sehr schlimm?»
Ich nickte und zeigte auf die Tür. «Soll ich dir wirklich nichts zu essen mitbringen?»
Sie lehnte sich zurück, zog die Bettdecke hoch und sagte: «Vielleicht etwas Leichtes, eine Banane oder einen Apfel. Falls ich später Hunger kriege.»
Ich würde sehen, was ich finden konnte. Dann trat ich hinaus in die Kälte.
Ich zog die Jacke fest um mich und ging zur Rezeption. An der Hausecke konnte ich über das Feld sehen. In der Ferne stand die Pappel wie ein Skelett, ein feiner schwarzer Riss im weißen Himmel.
Ich starrte eine Weile dorthin und musste wieder an die vergangene Nacht denken. Der Frost kroch mir in die Brust. Was geschehen war, war geschehen, sagte ich mir. Es konnte nicht rückgängig gemacht werden. Ich musste mich damit abfinden.
Syl war tot, und der Schnee war tief.
Es würde lange dauern, bis sie ihn fanden. Mit etwas Glück waren die Schneepflüge auf dem Highway schon unterwegs,und wir würden schon am Nachmittag wieder auf dem Weg sein.
Wir mussten nur abwarten.
Als ich in der Rezeption ankam, hatten meine Hände aufgehört zu zittern. Ich brachte es fertig, mich davon zu überzeugen, dass ich das Richtige getan hatte für Sara und das Baby und dass alles gut werden würde. Ich blieb einen Moment vor der Tür stehen und lauschte, ob man schon das kratzende Brummen der Schneepflüge hören konnte.
Aber ich hörte nur das dünne, kalte Pfeifen des Windes, der über den Schnee fegte.
15
In der Rezeption roch es nach frischem Kaffee und gebratenem Speck. Ein Stück Papier, auf das jemand mit dicken schwarzen Buchstaben «Frühstücksraum» geschrieben hatte, war an den Empfangstresen gepinnt. Ein Pfeil darunter wies auf eine geöffnete Tür am
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