Frostbite
sie fertig war, standen alle Männer im Raum auf. Sie verstand
gar nichts mehr. Dann erhob sie sich ebenfalls, und alle wollten ihr die Hand
schütteln. »Der CSIS ist außerordentlich dankbar für Ihre Hilfe«, sagte
einer von ihnen. Ein anderer wiederholte die gleiche Botschaft auf Französisch. Sie schüttelte allen die Hand.
»Warten Sie!«, stieß sie hervor. Sie konnte nicht glauben, dass das
alles gewesen sein sollte. »Warten Sie, ich würde Sie gern etwas fragen. Wenn
ich darf.«
Die Männer waren bereits im Begriff, den Konferenzraum zu verlassen.
Nun blieben sie stehen und wandten sich ihr geduldig zu.
»Wenn Sie ihn erwischen.« Sie schluckte krampfhaft. »Wenn Sie ihn
erwischen. Ich meine den Lykanthropen. Besteht die Möglichkeit, dass ich mit
ihm spreche? Ich meine nicht privat. Es kann jeder dabei sein, den Sie für
erforderlich halten, oder Sie können auch einfach zuhören, wenn Sie wollen. Sie
müssen nämlich wissen, dass ich ihm eine Frage stellen will. Ich möchte wissen,
ob er meinen Vater hasste oder einfach nur hungrig war.«
Die Männer und Frauen sahen sich untereinander an und nicht sie. Wieder
die gleichen Blicke wie zuvor. Jetzt war sie endgültig davon überzeugt,
verrückt zu sein.
»Hören Sie, ich weiß, das klingt seltsam. Aber es wäre so
hilfreich«, flehte sie.
Schließlich räusperte sich der Mann mit dem Rekorder und berührte
ihren Oberarm. »Miss Clark, es täte mir sehr leid, wenn wir Ihnen den falschen
Eindruck vermittelt hätten. Dies war bloß eine Hintergrundsitzung. Allein zu
Informationszwecken.«
Sie schüttelte den Kopf. Sie begriff nicht.
»Ich bin überzeugt, dass Mister
Fenech es Ihnen erklären wird«, sagte er, und alle gingen.
Eine Stunde später brachte der Wagen sie und Bobby zurück ins Motel.
Sie setzte sich auf einen Stuhl und glättete die Falten in ihrem Rock. Bobby
riss die Laken vom Bett und schleuderte sie gegen den Fernseher.
»Diese gottverdammten Wichser!«, brüllte er. »Ich scheiße auf alle
zweisprachigen, Wein schlürfenden, Eulen schützenden, delfinfickenden
Mitglieder der Grünen, die dieses Land regieren! Ich wusste, dass das
passiert!«
Chey atmete tief aus, bevor sie sprach. »Was ist passiert? Du hast
gesagt, die Regierung bittet mich um Hilfe.«
»Klar, und ich hatte recht.« Er schmiss den Eiskübel aus Plastik
gegen das Doppelglasfenster. Er prallte ab, ohne auch nur einen Fleck zu
hinterlassen. »Sie wollten, dass du ihnen hilfst,
keine Entscheidung treffen zu müssen. Was du dort erzählt hast, hätte
mir den nötigen Papierkram einbringen sollen, den ich brauche, um zum
Polarkreis zu fahren und diesem Tier einen Sterlingsilbereinlauf zu verpassen.
Stattdessen nahmen sie deine Aussage als
Zeichen, dass sie erst noch weitere Fakten zusammentragen müssen.
Vielleicht ein neues Komitee über Lykanthropenbeziehungen gründen. Lykanthrop ! Ich hasse dieses verfluchte Wort. Das ist
Griechisch oder so, stimmt’s? Eins dieser Wissenschaftswörter .
Das ist der Name einer Krankheit . Hier geht es nicht
um irgendeinen Krebs, den bloß Robbenbabys bekommen. Das ist ein gottverdammtes
Monster. Warum kann keiner das Wort Werwolf aussprechen, ohne gequält das Gesicht zu verziehen?«
»Also werden sie nichts unternehmen?«, fragte Chey.
»Das tun sie nie«, erwiderte er. Dann versuchte er die Vorhänge von
der Stange zu reißen. Sie lösten sich nicht.
29 »Wie
wäre es mit einer kubanischen Zigarre, Captain?«, fragte Bobby und fuchtelte
damit vor Onkel Bannerman herum. Chey sank der Mut. Sie sprang auf einen
Holzzaun und setzte sich auf die oberste Stange. Sie hatte von Anfang an keine
besonders großen Hoffnungen in diese
Begegnung gesetzt – ihr war klar gewesen, dass die beiden Männer
niemals auf gleicher Linie waren. Aber es hatte fast schon den Anschein, als
wolle Bobby, dass es schiefging. »Die kriegen Sie unten in den Staaten nicht,
oder? Die sind einzigartig.« Er führte die Zigarre unter der Nase vorbei und
atmete fröhlich aus.
»Nein danke. Ich rauche nicht.« Cheys Onkel trug seine
Rancherkleidung. Flanellhemd, Jeans, makellos saubere Arbeitsstiefel. Er trug
keine Uniform mehr – er war mittlerweile in Rente, war mit Auszeichnungen
und einer hübschen Pension in den Ruhestand gegangen, nachdem er einen üblen
Gefängnisaufstand oder dergleichen ohne Opfer zu Ende gebracht hatte. Sein Übergang ins Privatleben war ziemlich glatt verlaufen,
und er hatte sich eine Ranch gekauft, auf der er Appaloosas
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