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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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die Wälder rennen. Bevor es
passiert, ziehe ich mich so weit wie möglich zurück, und vielleicht reicht das.
Falls ich weit genug entfernt bin, rieche ich euch als Wolf nicht mehr.
Vielleicht.«
    Er nickte und setzte sich halb auf, verzog aber vor Schmerzen das
Gesicht. »Ich weiß was Besseres«, sagte er. »Lester!«, brüllte er. »Mach die
blaue Tasche auf!« Dann wandte er sich wieder an Chey und sprach in
vertraulichem Ton weiter. »Irgendwie hatte ich diesen verrückten Einfall, wir
könnten deinen neuen Freund überraschen. Und ihn lebend gefangen nehmen.«
    Lester öffnete die blaue Tasche, und eine Kette glitt heraus. Eine
funkelnde Silberkette mit einer dicken Fußschelle am Ende
    »Glaubst du, die passt?«, fragte Bobby.

33   Die
beiden Männer schlugen ihr Lager auf und entfachten ein fröhliches kleines
Feuer. Der aufsteigende weiße Rauch vermengte sich mit dem Nebel vom See und
dem gelben Zwielicht. Die Karamellatmosphäre des Abends hatte stundenlang
angedauert, und es war noch immer nicht dunkel – in der Arktis war es fast
Mittsommer, und das bedeutete ein paar sehr kurze Nächte. Aber die Luft war
kühl und feucht geworden, und das prasselnde Feuer verscheuchte teilweise das
Zwielicht.
    Halb zehn war es bereits.
Mondaufgang war um 21:45.
    Chey ertappte Lester dabei, wie er mehr als einmal auf die Uhr sah.
Aber Bobby ließ sie die ganze Zeit nicht aus den Augen. Er beobachtete sie
sogar, als er aufstand, um noch mehr von dem harzigen Holz ins Feuer zu werfen.
    »Hast du Hunger?«, fragte er, und um ein Haar wäre sie
zusammengezuckt. Sie hatte sich an die Stille gewöhnt. »Wir haben Eipulver und
Kaffee. Natürlich Instant, aber er ist noch immer Timmy Hos beste Sorte, und
vermutlich schmeckt er nach Zivilisation. Ich weiß nicht mehr – nimmst du
Zucker?«
    Sie stieß die Luft mit einem wimmernden Laut aus.
    »Offenbar nicht«, sagte er und setzte sich wieder neben das Feuer.
Um sie zu beobachten.
    Ihr Körper wurde ganz leicht, verlor beinahe jede Festigkeit. Die
Kleidung hing wie ein Sack an ihr, dann fiel
sie auf den Boden der Lichtung. Sie betrachtete ihr gebrochenes Handgelenk. Die
Hand hob sich von allein – sie sah aus wie ein luftgefüllter
Ballon. Sie fühlte, wie die Knochen darin aneinanderschabten. Es schmerzte
kaum, nichts schmerzte – sie spürte eigentlich überhaupt nichts. Eher so,
als wäre sie aus einer weicheren Substanz als Fleisch und Knochen gemacht. Eher
so, als wäre sie ohne die unglaublich schwere Kette um ihren Fußknöchel einfach
davongeschwebt. Die Kette fiel nicht ab, selbst als sie nackt und geisterhaft
dastand und daran zerrte, daran …
    Silbriges Licht. Die Welt füllte sich mit Silberlicht. Es war 21:47.
Mondaufgang.
    Ihr Körper schüttelte sich vor Freude, ihr Fell sträubte sich, ihre
Knochen knackten fröhlich. Sie grub mit den Pfoten im Boden und hob die
Schnauze in den Wind, um vor reinem Vergnügen zu heulen.
    Ihre Nasenlöcher zuckten. Sie schmeckte Rauch. Feuer. Brennendes
Holz in der Nähe. Ihre Augen versuchten besser zu sehen. Auch wenn die Sehkraft
nicht zu ihren schärfsten Sinnen gehörte, erkannte sie dennoch die gelben
Flammen in der Mitte der Lichtung. Erkannte – sie .
    Menschen. Menschen. Menschen, gehasste Menschen. Menschen, hechelte sie. Menschen .
Sie schmeckte bereits ihr Blut. Wenn auch noch nicht so intensiv, wie sie es
gern gehabt hätte. In ihrem Herzen und ihrem Kopf blitzten Visionen auf, wie
sie sie in Stücke riss und ihre Eingeweide fraß. Ein nie zuvor verspürtes
Verlangen stieg in ihrem Innern auf, füllte sie aus. Ihr ganzer Körper raste.
    Männer – zwei Männer. Sie standen um ein kleines Feuer, als
könnten die Flammen sie beschützen, leicht geduckt, als könnten sie noch
weglaufen. Sie fürchteten sie.
    Das sollten sie auch. Ein Knurren grollte aus ihrer Kehle, ein
leises Knurren, aber dennoch wie das Donnern eines Wasserfalls aus weiter
Ferne.
    Die Männer brüllten sich gegenseitig an, dann wandten sie sich schreiend ihr zu. Grunzende, knurrige
Geräusche, die keinerlei Bedeutung für eine Wölfin hatten. Laute, die
kränklich klangen. Laute, wie sie ein Bauch voll verdorbenen Fleischs
verursachte. Ihre Lefzen zogen sich von den Zähnen zurück, als sie sich um
einen Schritt näherte. Um einen weiteren Schritt, noch näher, die Pfoten ganz
flach aufgesetzt, den Körper geduckt zum Sprung, noch näher …
    Brennender Schmerz raste ihr Bein herauf, als würde ein heißes
Messer auf den Knochen

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