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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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hinuntergestürzt. Dort unten lag er stöhnend
und blutend und noch immer am Leben.
    Das Verlangen zu töten erfüllte die Wölfin. Ihr Fell sträubte sich,
ein Knurren wuchs in ihrer Kehle. Aber es war vorbei. Diesen steilen Hang kam
sie nicht unbeschadet hinunter. Sie war kein Mensch mit Fingern und Zehen, um
einen Absturz aufzuhalten.
    Gleichgültig. Lange konnte er nicht überleben. Sie hatte ihm eine
tödliche Wunde geschlagen, und es war bloß eine Frage der Zeit, bevor der
Blutverlust seinem Leben in Ende setzte. Sie drehte sich ein paarmal um sich
selbst und legte sich auf den Bauch, um seinen Schreien zu lauschen und
abzuwarten.
    Der Mond versank hinter den Bäumen, während sie gähnte. Und dann …
    Chey kam schluchzend zu sich. Ihr Körper war eiskalt und feucht. Sie
erinnerte sich an Blut, aber zu wem es gehörte und wie es vergossen worden war,
das vermochte sie nicht zu sagen. Sie lag am Rand eines vielleicht fünf Meter hohen
Flussufers, an einem aus dem Gelände gegrabenen Ufer aus Schlamm und
Baumwurzeln. Sie spähte über den Rand – und kreischte vor Entsetzen auf.
    Ihre Wölfin hatte einen Mann getötet. Dieses Mal bestand nicht der
geringste Zweifel. Dort unten lag die zusammengekrümmte Leiche. Es war Frank
Pickersgill, und sein Blut verschmutzte das seichte Wasser. Zitternd und nackt
betrachtete sie ihr Werk.
    Frank Pickersgill. Sie hatte den Mann nicht gehasst, auch wenn sie
Angst vor ihm gehabt hatte. Er hatte ihr nichts als Freundlichkeit
entgegengebracht. Und sie hatte ihn getötet. Ihr Magen grollte, und ihr wurde
klar, dass sie … dass sie …
    »Lady!«, krächzte er von dort unten.
    O
mein Gott, er lebte noch. Chey trat an den Uferrand, und Erdklumpen lösten sich unter ihrem Fuß und regneten auf
ihn hinab. So schnell sie konnte, eilte sie den Hang hinunter, hielt sich an
freigelegten Wurzeln und Steinen fest,
rutschte genauso oft, wie sie kletterte. Als sie in dem eiskalten Wasser
neben ihm auf die Knie fiel, war sie mit Schlamm und toten Blättern bedeckt.
    »Lady«, seufzte er, und sein Atem ging nur schwach, schien sanft aus
seinen Lungen zu tropfen.
    »Bewegen Sie sich nicht!«, flehte sie.
    »Lady, die sehen Sie«, protestierte er. »Die bringen Sie um.«
    Sie sah nach seinen Verletzungen.
Das linke Bein war größtenteils abgerissen. Übelkeit stieg in ihr auf,
und sie wollte sich übergeben, aber sie kämpfte dagegen an. »Sie werden es
schaffen«, versprach sie ihm wider besseres Wissen. Sie riss an dem Hosenbein
und fand nur rohes Fleisch. Aus Dutzenden kleiner Wunden sickerte Blut.
Zahnspuren.
    Chey verdrängte die Schuldgefühle. Genau dazu hatte sie sich
entschieden, oder nicht? Ein Ungeheuer zu sein. Zu bejahen, dass sie ein
Ungeheuer war. Und genau das richteten Ungeheuer an.
    Die Wölfin hatte keine Schuld
verspürt. So wie Powells Wolf keine Schuld verspürt hatte, als er ihren
Vater fraß. So wie Powells Wolf keine Schuld verspürt hatte, als er sie dort
oben auf dem Baum hatte töten wollen. Als er sie gekratzt hatte.
    »Wir hatten unsere Befehle. Kommen Sie aus dem Turm heraus, eröffnen
wir das Feuer. Sobald wir Sie entdecken. Dachte, Sie wüssten das.«
    Chey drückte auf das zerfleischte Gewebe und versuchte, die Blutung
zu stillen. Sie hatte keine Ahnung, wie viel Blut er bereits verloren hatte.
»Sprechen Sie nicht! Tut Sprechen weh?«, fragte sie.
    »Scheiße«, lachte er. Schwach. »Alles tut weh. Geben Sie mir meine
Tasche, ja? Ich werde sterben.«
    »Nicht unbedingt.«
    »Nett.« Er lächelte sie an. Seine Augen starrten in die Ferne und
schienen sie gar nicht wahrzunehmen. War das ein schlechtes Zeichen? »Sie sind
eine nette Lady. Sie sollen wissen, dass ich Ihnen das nicht übel nehme. Ich
weiß, dass das nicht persönlich gemeint war, und es tut mir wirklich leid, dass
die anderen Sie töten werden. Meine Tasche?«
    Sie blickte auf und entdeckte eine Umhängetasche in der Nähe seines
Kopfs. Mit der freien Hand hangelte sie danach und drückte sie ihm in die Arme.
Er öffnete die Klappe und griff hinein.
    Er würde nicht sterben. Das wusste sie, das wusste sie sogar genau.
Er würde nicht sterben. Aber er würde sich verwandeln.
    »Bald geht der Mond auf«, sagte sie. Wie viele Stunden noch? Falls
er vorher an Blutverlust starb – aber nein. Bis zum Mondaufgang würde er
durchhalten. »Ist Ihnen klar, was mit Ihnen geschehen wird?«
    »Fenech hat mir die Geschichte erzählt, ja. Das ist so etwas wie
Tollwut oder so ähnlich. Man wird gebissen

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