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Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Marriott
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den Bäumen wurde ein Tümpel mit klarem grünem Wasser sichtbar, das in der Sonne funkelte. Die Schönheit ließ meinen Atem stocken.
    Der Tümpel wurde von einem dünnen Wasserfall gespeist, der sich über eine Felswand ergoss. Zwischen den Felsen sprossen leuchtend gelbe junge Bäume und bläulicher Farn. Das Ufer wurde von einem trockenen Halbmond aus glatten Flusskieseln gesäumt. Ich wollte schon darauf zurennen und alles näher in Augenschein nehmen, da sah ich den Mann.
    Mit dem Rücken zu mir watete er aus dem Wasser und ging zu einem ordentlichen Kleiderstapel auf den trockenen Kieseln am gegenüberliegenden Ufer. Wie nicht anders zu erwarten war der Mann nackt. Als er sich abzutrocknen begann, spannten und bewegten sich seine schweren Muskeln geschmeidig unter der braunen Haut.
    Ich hatte schon früher nackte Männer gesehen. Uskaand ist ein Land mit eisigen Flüssen und heißen Quellen, wo es normal ist, dass Männer und Frauen gemeinsam baden. Es wäre höflich gewesen, einfach wegzusehen, solange der Mann sich anzog.
    Doch ich sah nicht weg.
    Sein Rücken, seine Schultern und sein Gesäß waren übersät von Narben. Langen, geraden Narben, die aussahen, als stammten sie von einer Peitsche. Dicken, unregelmäßigen Wülsten, die von Verbrennungen herzurühren schienen. Dünnen, silbrigen Schnittwunden, die eine Waffe mit scharfer Klinge hinterlassen hatte. Die Wunden waren längst verheilt, doch einige hatten noch eine blaugraue Farbe. Mir wurde klar, dass ich die Folgen monatelanger – jahrelanger – Misshandlungen sah. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie jemand so viel Schmerz auszuhalten vermochte.
    Als er seine Kniehosen anzog, wich ich hinter die Bäume zurück. Dieser Mann, dem es so wichtig war, allein an einer abgeschiedenen Stelle zu baden, durfte niemals erfahren, dass ich ihn gesehen hatte.
    Ein lautes Knacken übertönte das Rauschen des Wasserfalls. Als ich nach unten sah, stellte ich fest, dass mein Stiefel einen Ast entzweigebrochen hatte. Ich fluchte lautlos – doch es war zu spät, um mich unbemerkt davonzustehlen. Das Hemd noch immer offen, drehte sich der Mann auch schon um.
    »Schon zurück, Luca?«, rief er. Er lächelte, was sein Gesicht so völlig veränderte, dass ich ihn einen Moment lang kaum erkannte.
    Es war der Ziegenhirte. Arian.
    Wir starrten einander an, beide geschockt und reglos.
    Dann stieß er einen leisen, gemeinen Fluch aus. Er stürzte über den Uferstreifen auf mich zu und packte mich am Arm. Seine Finger bohrten sich in mein Fleisch und er schüttelte mich brutal. Obwohl wir gleich groß waren, hob er mich fast hoch. »Wolltest wohl einen Blick riskieren, was? Jetzt rennst du vermutlich zurück und erzählst es allen?«
    »Nein! Es tut mir l-leid!«, stammelte ich. Die Sachen, die ich umklammert hielt, fielen zu Boden, als ich auf den Kieseln, die unter meinen Füßen wegrutschten, das Gleichgewicht zu halten versuchte.
    Seine freie Hand zuckte nach oben, als wolle er mich schlagen. »Luca war von allen guten Geistern verlassen, eine Rumtreiberin wie dich hierherzubringen –«
    Wut und Panik ballten meine Faust und ich schlug damit hart auf sein Handgelenk. »Lass mich los !«
    Er ließ mit einem Aufstöhnen von mir ab und ich stieß ihn mit beiden Händen weg. »Woher soll ich denn wissen, dass du hier bist? Gehört dir dieser P-Platz? Oder was?«
    »Du bist mir hierher gefolgt – du hast mir nachspioniert.«
    »Warum sollte ich das tun? Warum sollte ich die Nähe eines ekelhaften Grobians suchen, der mich laufend bedroht?« Ich stieß ihn noch einmal weg, mittlerweile zu aufgebracht, um vorsichtig zu sein. Ich hatte schon lange nicht mehr so die Beherrschung verloren. »Weißt du was? Du bist nicht der Einzige auf der Welt, der Narben hat! Bild dir bloß nicht ein, du wärst was Besonderes.«
    Er ließ ein Geräusch hören, das einem Knurren gefährlich nahekam. »Verschwinde! Bevor ich etwas tue, das dir leidtun wird!«
    »Ich denke nicht daran«, zischte ich. »Ich bin nur zum B-Baden hergekommen und du bist fast fertig. Also gehst du!«
    Er trat mit einem langsamen, bedächtigen Schritt zurück. Als er weitersprach, kamen die Worte leise und tonlos, als müsse er seine ganze Energie aufbringen, um sich zu beherrschen. »Hör gut zu. Schnapp dir jetzt deine Sachen und verschwinde. Geh ins Lager zurück. Bleib mir vom Hals.«
    »Oder was?«, bohrte ich nach, angetrieben von der berauschenden Mischung aus Furcht und Wut. »Es macht dir wohl Spaß,

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