Frostengel
Tisch decken. Für vier, bitte.«
Ach, daher wehte der Wind! Sie hatte einen Kerl kennengelernt. Wieder einmal. Den nächsten auf der langen Liste der Ersatzpapas, die ich und Corinna bereits präsentiert bekommen hatten. Die meisten ergriffen allerdings die Flucht, wenn sie von uns erfuhren. Kein Mann wollte eine Frau mit Kindern. Oder es waren Perverse, die meine Mutter gerade wegen uns Mädchen ausgewählt hatten. Ich war also gewappnet und rechnete mit allem. Wir haben es schon so oft durchgestanden, wir stehen es auch ein weiteres Mal durch, sagte ich mir. Ich hatte Übung darin, Männer zu vergraulen.
Das hatte man heute ja bei Leon gesehen. Als ich in der Vitrine, in der wir das gute Geschirr aufbewahrten, mein Spiegelbild im Glas sah, streckte ich mir selbst die Zunge raus. Vielleicht sollte ich mal Nachhilfestunden bei Corinna nehmen. Die wusste, wie man mit Jungs umging.
Wenig später war der Tisch gedeckt und ich klopfte an Corinnas Tür.
Ich steckte den Kopf ins Zimmer. Corinna lag auf dem Bauch im Bett und schrieb etwas in ein Heft.
»Bist du beschäftigt?«
Sie verzog das Gesicht. »Bio-Hausaufgaben. Der Steinmenger hat echt ein Rad ab.«
Corinna setzte sich auf und zog die Beine an, um mir Platz zu machen.
Ich ging hin und legte mich zu ihr. »Der Steinmenger macht’s wenigstens interessant. Es gibt viele, die Bio als Wahlfach nehmen. Ich auch.«
Corinna zog eine Schnute. »Und das kommt sicher nicht daher, weil er gut aussieht?«
Ich lachte. »Findest du? Na ja, ich muss zugeben, dass er sich für sein Alter ganz gut hält. Dabei ist der doch uralt!« Wie alt mochte Steinmenger sein? Fünfunddreißig, vierzig?
»Doch, er sieht echt cool aus. Und das sag nicht nur ich, sondern die Hälfte der Mädchen in meiner Klasse. Außerdem ist er nicht so gruftig wie die anderen Lehrer. Bloß seine Hausaufgaben sind das Letzte. Ehrlich!«
»Tja, man kann halt nicht alles haben. Sag mal, hast du schon mitgekriegt, dass wir einen Gast zum Abendessen erwarten?« Ich sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Corinna verzog das Gesicht. »Ja, klar. Mama singt altes Zeug und tut so, als wäre sie wieder jung. Na egal. Es wird ohnehin nicht lange halten.«
Es kam mir irgendwie falsch vor, meine kleine Schwester wegen Leon um Rat zu fragen. Aber was sollte ich sonst tun? Ich hatte keinen Schimmer, wie ich ihn weich kriegen könnte. »Du, Corinna?«
»Hm?«
»Also, es gibt da einen Jungen …«
Meine Schwester legte das Heft weg. Sofort hatte ich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit und ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
»Und du stehst auf den? Oder ist er verknallt in dich?«
Ich schüttelte den Kopf und merkte, dass ich rot wurde. Corinna würde denken, das käme von meiner Verlegenheit. Aber ich wusste, dass ich deswegen Farbe aufzog, weil ich gerade im Begriff war, meine Schwester anzulügen, und das, wo ich ihr gegenüber immer predigte, die Wahrheit zu sagen. Wie sehr musste ich mich noch verbiegen, um etwas über Julias Todesumstände herauszufinden? So viel wie nötig, sagte ich mir und beruhigte mein schlechtes Gewissen.
»Nein, also es ist eher … äh … Ersteres«, brachte ich hervor.
Corinna riss die Augen auf, klatschte in die Hände und sprang und hüpfte auf dem Bett umher, während sie mit hochgehobenen Armen einen Jubelschrei ausstieß. »Theresa ist verli-hiebt, Theresa ist verli-hiebt! Na endlich!«
Ich ergriff ihre Hand und zog sie wieder zu mir herunter. »Spinnst du?«, zischte ich. »Es muss ja nicht gleich die ganze Welt wissen.«
Corinna setzte sich wieder. »Schon gut. Ich freu mich nur, dass du dich endlich auch mal in wen verguckt hast. Wer ist er, wie heißt er? Kenn ich ihn?« Sie war völlig aus dem Häuschen.
Ich seufzte. Ich würde Leons Namen bestimmt nicht nennen, aber ganz im Unklaren konnte ich sie auch nicht lassen, sonst würde sie eingeschnappt sein und mir nicht helfen wollen.
»Du kennst ihn vom Sehen. Er geht in meine Stufe«, antwortete ich ihr.
»Hm und was ist mit ihm? Mag er dich auch?«
»Na ja, ich weiß nicht. Man kann sich super mit ihm unterhalten, aber irgendwie sag ich immer was Blödes und dann lässt er mich stehen. Heute wieder. Dabei wollte ich nur wissen, ob er einen Führerschein hat, weil doch alle Jungs drauf aus sind, möglichst bald mit einem Auto durch die Gegend zu flitzen.«
»Und? Hat er?« Corinna schien es aufregend zu finden, dass mein potenzieller neuer Freund mobil war.
Ich zuckte die Achseln. »Keine Ahnung.
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