Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frostengel

Frostengel

Titel: Frostengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamina Berger
Vom Netzwerk:
schließlich.
    »Welche von Melissas Freundinnen? Allzu viele hatte sie nicht.«
    »Tanja. Tanja Halter. Sie besucht gerade ihre Eltern.« Ich schaute auf die Uhr. »Verdammt! In einer halben Stunde soll ich dort sein!« Ich hatte die Zeit komplett vergessen.
    Leon stand auf und zog mich an den Armen hoch. »Soll ich mitkommen? Ich kenne Tanja. Wir waren in der gleichen Klasse.«
    Würde Tanja mit mir offen reden, wenn er dabei war? Leon und Melissa waren ein Paar gewesen. Wenn nun Tanja aus Solidarität zu ihrer Freundin Leon ablehnte? Wenn Julia von einem Jungen nichts mehr wissen wollte oder er von ihr, dann war von einem Tag auf den anderen Funkstille auch zwischen ihm und mir gewesen. Deshalb sagte ich zu Leon: »Nein, ich glaube, es ist besser, ich spreche allein mit ihr.« Ängstlich hielt ich den Atem an. Hatte ich es jetzt mal wieder vermasselt? Das hier war bestimmt von diesem Moment an die kürzeste Beziehung der ganzen Welt.
    Doch Leon nahm nur meinen Kopf in beide Hände, küsste mich und sagte dann: »Klar. Sag ihr einfach einen schönen Gruß von mir. Und jetzt komm, wir müssen zum Bus.«
    Meine Mutter sah auf, als Leon und ich aus meinem Zimmer kamen. Ihr Lächeln sagte mir, dass sie die richtigen Schlüsse zog. »Willst du nicht noch was essen?«, fragte sie. Ich war ihr dankbar, dass sie darauf verzichtete, mich, oder noch schlimmer Leon, auszufragen. »Leon, du bist auch herzlich zum Essen eingeladen, es ist genug da.«
    »Danke, Mama. Aber ich muss den Bus erwischen.«
    Im Eiltempo zog ich mich an. Weil mein Haar immer noch etwas feucht war und ich nicht wieder eine Erkältung riskieren wollte, setzte ich eine Mütze auf. Leon wartete an der Wohnungstür auf mich. Hand in Hand liefen wir die Treppe hinunter. Bis zur Bushaltestelle ließ er meine Hand nicht los und auch während der Fahrt hielten seine Finger meine umschlungen.
    »Wir sehen uns dann morgen«, sagte er zum Abschied, nachdem wir aus dem Bus gestiegen waren und nun jeder in eine andere Richtung gehen musste.
    Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und legte meine Arme um seinen Nacken. Er beugte seinen Kopf zu mir herunter und küsste mich. »Ich ruf dich später an«, versprach ich ihm und ich merkte, wie schwer es mir fiel, mich von ihm zu lösen. Dann machte ich kurzen Prozess. Ich drehte mich um und ging. Mit jeder Minute, jedem weiteren Kuss würde es mir nur noch schwerer fallen, mich von Leon zu trennen. Mir kam es bis morgen noch wie eine Ewigkeit vor. Ich fühlte mich fast schwerelos. Als hielte ich ein ganzes Bündel mit Gas gefüllter Luftballons in der Hand und würde jeden Augenblick davonschweben.
    Mit Tanja Halter hatte ich als Treffpunkt ein Café vereinbart, das ich nur flüchtig kannte. Klar kam ich immer wieder daran vorbei, wenn ich in der Stadt unterwegs war, aber ich war bisher bloß ein-, zweimal drinnen gewesen, bevor das Grätzel unser Stammcafé wurde. Als ich durch die schwere gläserne Eingangstür trat, wusste ich auch, warum. Die Einrichtung war durch und durch spießig. Das Publikum passte hierher. Alte Omas, die mit ihren Freundinnen und Hunden nach dem sonntäglichen Spaziergang einen Kaffee trinken und Kuchen essen wollten. Plüschbezogene Bänke in Dunkelrot, die Preise auf den Tafeln reichlich überteuert. Vielleicht würde es mir in dreißig, vierzig Jahren hier ebenfalls gefallen. Frühestens dann. Ich blickte mich suchend um. An einem der Tische saß ein älteres Pärchen, das sich gegenseitig mit Cremeschnitten fütterte.
    Auf einer Bank entdeckte ich ein Mädchen, das ungefähr in meinem Alter war. Ich ging auf sie zu. »Tanja?«
    Sie nickte. »Setz dich doch«, sagte sie und reichte mir die Hand. »Du bist also Theresa. Ich habe gehört, was mit Julia passiert ist. Mein Beileid.«
    »Danke«, murmelte ich. Ich wusste nie so recht, was ich darauf erwidern sollte.
    Die Kellnerin kam und fragte nach unseren Wünschen. Tanja, die mit der Bestellung auf mich gewartet hatte, nahm Orangensaft, ich einen Cappuccino. »Wir haben heute Apfelstrudel im Angebot«, sagte die Kellnerin.
    Plötzlich bekam ich Hunger. »Ja, für mich bitte einen.« Tanja lehnte ab.
    Das Café war gut besucht, fast jeder Tisch war besetzt. Laufend kamen neue Cafébesucher rein, wie ich von unserem Tisch aus gut sehen konnte. Erneut ging die Tür auf und ausgerechnet Steinmenger, unser Bio-Lehrer, trat ein. Er sah sich um und bemerkte Tanja und mich. Das waren also die Lokale, in denen unsere Lehrer verkehrten. Kein Wunder,

Weitere Kostenlose Bücher