Frostherz: Mythos Academy 3 (German Edition)
um die Artefakte in der Bibliothek zu kümmern.«
»Und meine Mom wurde Polizistin in der Welt der Sterblichen.«
»Ich nehme an, in gewisser Weise hat sie doch unseren Traum erfüllt«, sagte Nickamedes. »Ich habe recht oft an sie gedacht, habe mich gefragt, wo sie wohl ist und was aus ihr geworden ist. Ob sie das schnitterfreie Leben lebt, das sie sich gewünscht hat. Dann, eines Tages im letzten Frühling, kam Aurora zu mir und erzählte mir, dass Grace ermordet worden war. Dass sie eine Tochter hatte und dass du im Herbst nach Mythos kommen würdest. Ich habe Aurora sofort darum gebeten, dich bei mir in der Bibliothek arbeiten zu lassen.«
Ich runzelte die Stirn. »Aber warum? Warum sollten Sie das tun?«
Besonders wenn man bedenkt, wie Sie mich behandelt haben. Ich sprach die Worte nicht aus, aber sie hingen wütend zwischen uns.
»Weil du Graces Tochter bist«, erklärte Nickamedes leise. »Und weil ich deine Mutter sehr geliebt habe.«
Diese Offenbarung verblüffte mich total. Der verkrampfte, zimperliche Nickamedes und meine … meine … Mom? Zusammen? Als Paar? Verliebt? Das ergab überhaupt keinen Sinn. Allerdings ergaben Logan und ich wahrscheinlich auch nicht viel Sinn. Der wilde Spartanerkrieger und das Gypsymädchen, das gerade erst lernte, wie man kämpft.
»Es tut mir leid, wie ich mich dir gegenüber benommen habe«, sagte Nickamedes. »Unsere Trennung war ziemlich … unschön, wie du dir vielleicht vorstellen kannst. Ich dachte, ich wäre über deine Mutter hinweg oder hätte zumindest meine Wut darüber überwunden, dass sie gegangen ist. Aber dann kamst du nach Mythos. Und du siehst ihr so ähnlich, besonders wenn du lächelst. Und du bist klug und stark, genau wie sie es war.«
Das Gesicht des Bibliothekars wurde weich, und für einen Moment erhaschte ich einen Blick darauf, wie er in jüngeren Jahren ausgesehen hatte – auf den Jungen, in den meine Mom sich vor all dieser Zeit verliebt hatte. Dann räusperte sich Nickamedes wieder, und das Bild verschwand.
»Ich nehme an, ich habe meine Wut auf deine Mutter an dir ausgelassen, Gwendolyn, und das ist nicht fair. Dafür wollte ich mich entschuldigen. Es wird nicht wieder vorkommen.«
Ich sagte nichts. Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Nickamedes hatte meine Mom geliebt. Meine Mom hatte ein normales Leben leben wollen. Meine Mom hatte aufgehört, Nikes Champion zu sein. Das war eine Menge Zeug, das ich erst mal schlucken musste, und Tausende Fragen sausten mir durch den Kopf.
»Auf jeden Fall«, sprach Nickamedes weiter, »fand ich, dass du wissen solltest, warum ich dich behandelt habe, wie ich dich behandelt habe, und ich wollte, dass du das hier bekommst.«
Er streckte mir das Bild entgegen, und meine Finger zitterten, als ich es entgegennahm. Sofort schaltete sich meine Psychometrie ein, und ich empfand all das, was meine Mom und Nickamedes empfunden hatten, während sie das Foto besessen hatten. Überwiegend blitzten die zärtlichen Erinnerungen meiner Mom auf, zusammen mit ihrem tiefen Bedauern darüber, wie die Sache zwischen ihnen zu Ende gegangen war. Das waren dieselben Empfindungen, die auch Nickamedes hatte, doch bei ihm schwang zudem die Entschlossenheit mit, sich mir gegenüber anständig zu verhalten – und mich genauso zu beschützen, wie schon Metis es geschworen hatte.
»Danke dafür, aber ich glaube, Sie brauchen es dringender als ich.« Ich hielt ihm das Foto wieder hin. »Behalten Sie es als Erinnerung an meine Mom. Ich denke, das hätte sie gewollt.«
Nickamedes nickte und griff nach dem Bild. Seine Finger strichen über das Gesicht meiner Mom, und ich konnte sehen, dass er wieder an sie dachte und sich wünschte, die Dinge zwischen ihnen wären anders gelaufen. Schließlich hob der Bibliothekar den Blick, und ich sah in seine blauen Augen, die so sehr Logans ähnelten.
»Und jetzt zu der letzten Sache, über die ich heute Abend mit dir sprechen will. Du darfst nicht aufgeben, Gwendolyn«, sagte Nickamedes. »Du musst weiterkämpfen, genau wie der Rest von uns.«
Ich seufzte. »Wozu? Loki ist meinetwegen entkommen. Er und die anderen Schnitter werden Leute umbringen, weil ich es nicht geschafft habe, den Helheim-Dolch zu beschützen. Sie werden einen weiteren Chaoskrieg anzetteln, die Welt in ewige Dunkelheit stürzen und all dieses Zeug.«
Ich hatte im Wald ziemlich neben mir gestanden, trotzdem wusste ich, dass Oliver den Dolch neben Prestons Leiche gefunden hatte. Ich hatte keine
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