Frostherz: Mythos Academy 3 (German Edition)
Ahnung, was jetzt mit dem Artefakt geschehen sollte. Vielleicht würden die Mächtigen von Mythos es in der Bibliothek ausstellen, zur Erinnerung an mein totales Versagen.
»Jetzt hör mir mal zu, Gwendolyn Cassandra Frost«, sagte Nickamedes mit scharfer Stimme.
Ich blinzelte und fragte mich, woher der Bibliothekar meinen zweiten Vornamen kannte. Aber ich entschied, nicht danach zu fragen, da er mich böse anstarrte – mal wieder.
»Du bist Nikes Champion, wie deine Mutter es vor dir war«, blaffte der Bibliothekar. »Und ich werde nicht zulassen, dass du Grace Frosts guten Namen in den Dreck ziehst, weil du zu sehr damit beschäftigt bist, Trübsal zu blasen und dich selbst zu bemitleiden, statt zu tun, was getan werden muss. Ein Krieg kommt auf uns zu, und wir werden unser Bestes tun, ihn zu gewinnen. Und das bedeutet, dass du anfangen solltest, dieses sprechende Schwert zu polieren, das du besitzt. Hast du mich verstanden?«
Vielleicht lag es an Nickamedes’ harschem Tonfall oder an dem wilden Ausdruck in seinem Gesicht. Aber vielleicht lag es auch daran, dass ich all die Gefühle gespürt hatte, die er für meine Mom empfand – diese Liebe und das schmerzhafte Bedauern. In diesem Moment auf jeden Fall, für einen einzigen kurzen Augenblick, gab er mir einen Funken Hoffnung, dass es vielleicht doch noch nicht zu spät war. Dass wir vielleicht doch einen Weg finden konnten, Loki zu besiegen.
Dass ich den Gott vielleicht tatsächlich töten konnte, wie es angeblich meine Aufgabe war.
»Ich verstehe«, sagte ich.
»Gut«, antwortete Nickamedes.
Damit war unser Gespräch beendet. Ich stand auf, und Nickamedes tat dasselbe. Ich wünschte ihm eine gute Nacht, dann drehte ich mich um und hielt auf den Ausgang zu.
»Und komm morgen nicht zu spät zu deiner Schicht!«, rief der Bibliothekar, gerade als ich durch die Tür trat.
Statt mich zu nerven, zauberten seine Worte tatsächlich ein Lächeln auf mein Gesicht. Es war irgendwie tröstlich zu wissen, dass sich manche Dinge nie ändern würden, egal wie schlimm es um die Welt stand.
Ich verließ die Bibliothek und stieg die Treppenstufen nach unten. Dann hielt ich kurz an, um zu der Greifenstatue hinaufzublicken, die so lange Zeit den Helheim-Dolch beschützt hatte.
»Es tut mir leid«, flüsterte ich. »Ich habe versagt.«
Vielleicht war es nur Einbildung, aber es schien, als ließe der Greif enttäuscht den Kopf sinken. Wieder seufzte ich. Trotz Nickamedes’ aufmunternder Worte konnte ich unmöglich leugnen, dass die letzten vierundzwanzig Stunden nicht gerade gut gelaufen waren. Überhaupt nicht gut.
Ich wandte den Kopf, um ein letztes Mal zur Bibliothek zu sehen – und da entdeckte ich sie.
Sie stand oben an der Treppe, angeleuchtet von einem Strahl Mondlicht. Bronzefarbenes Haar floss bis über ihre Schultern und betonte das Weiß des togaartigen Kleides, das ihren schlanken, starken Körper umhüllte. Ihr Gesicht war so wunderschön wie immer, obwohl es im Mondlicht so kalt wirkte wie Marmor. Ich konzentrierte mich auf ihre Augen – Augen, die nicht ganz purpurn waren, aber auch nicht wirklich grau. Selbst jetzt, hier, erinnerten sie mich an die Farbe der Dämmerung.
»Nike«, flüsterte ich.
»Hallo, Gwendolyn«, sagte die Göttin.
Die griechische Göttin des Sieges glitt die Stufen nach unten auf mich zu. Ihre Füße schienen kaum den Stein zu berühren. Ihre Flügel erhoben sich über ihren Schultern wie die zwei Hälften eines Herzens, und die Federn bewegten sich im Windhauch ihrer anmutigen Bewegungen. Je näher mir die Göttin kam, desto mehr fühlte ich ihre Macht – die wunderbare, schreckliche Macht, die in unaufhaltsamen, endlosen Wellen von ihr ausging.
»Hallo, Gwendolyn«, sagte Nike wieder und schenkte mir ein sanftes Lächeln.
Die gelassene Haltung der Göttin tröstete mich nicht. Nicht im Mindesten. Nicht, nachdem ich sie so vollkommen enttäuscht hatte.
Ich schluckte schwer. »Ich nehme an, du bist hier, um Vic zurückzuholen. Wahrscheinlich wirst du mir meine Magie ebenfalls wegnehmen, wenn du schon dabei bist, um sie jemand anderem zu geben. Jemandem, der sie verdient hat.«
Sie runzelte die Stirn. »Warum in aller Welt sollte ich das tun?«
Ich schluckte wieder, aber scheinbar wurde ich den hartnäckigen Frosch in meiner Kehle einfach nicht los. »Weil ich versagt habe«, flüsterte ich. »Weil ich es nicht geschafft habe, den Dolch wieder zu verstecken. Weil Vivian ihn und mein Blut benutzt hat, um Loki zu
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