Frostnacht
mir, die Hand an meiner Schulter. »Nickamedes ist wach«, sagte sie leise. »Er fragt nach dir.«
Ich blinzelte, bis die verschlafene Benommenheit verschwand, dann stand ich auf. Vorsichtig schlich ich an den anderen vorbei, um sie nicht zu wecken, und folgte Metis in eines der Krankenzimmer, das Nickamedes allein vorbehalten war. Der Bibliothekar war dünn und bleich, und seine blauen Augen wirkten stumpfer als früher, aber seine Miene war weich und entspannt, als er den Kopf in meine Richtung drehte.
Metis ging hinüber und zupfte die Decke zurecht. »Liegst du bequem? Hast du alles, was du brauchst?«
»Natürlich.« Er hob den Arm und packte ihre Hand. »Du hast dich wunderbar um mich gekümmert, Aurora. Wie du es immer tust.«
Sie lächelte, doch ihre Miene wirkte auch ein wenig traurig. Schnell entzog sie ihm ihre Hand. »Ja. Genau wie immer.«
Nickamedes runzelte die Stirn. Anscheinend hatte er keine Ahnung, wie sie in Bezug auf ihn empfand. In dieser Hinsicht musste ich vielleicht mal etwas unternehmen, sobald es ihm wieder besser ging.
Metis berührte mich leicht an der Schulter. »Ich lasse euch ein paar Minuten allein.« Dann verließ sie den Raum und schloss die Tür hinter sich.
Ich ging zu Nickamedes’ Bett und stand da, ohne den Bibliothekar wirklich anzusehen. Was sollte ich jemandem sagen, der meinetwegen vergiftet worden war? Es tut mir sehr leid schien einfach nicht genug.
»Danke«, sagte Nickamedes schließlich. »Metis hat mir erzählt, was du für mich getan hast. Dass du in den Eir-Ruinen warst und auf dem Weg dorthin alle möglichen Gefahren auf dich genommen hast.«
Ich zuckte mit den Achseln und spielte an einem der silbernen Lorbeerblätter an meinem Armband herum, um etwas zu tun zu haben. »Das war ja nicht nur ich. Wir sind alle losgezogen – zusammen. Daphne. Carson. Oliver. Alexei. Ajax. Und Logan war auch da.«
Er nickte. »Ich weiß, aber hättest du nicht herausgefunden, um welches Gift es sich handelt, wäre ich im Moment nicht hier. Dafür möchte ich dir danken, Gwendolyn.«
Ich trat von einem Fuß auf den anderen, weil mir seine Dankbarkeit unangenehm war.
»Es tut mir leid«, sagte ich schließlich und fand den Mut, dem Bibliothekar in die Augen zu sehen. »Es tut mir so unglaublich leid, dass ich es nicht geschafft habe, Sie davon abzuhalten, das Gift zu trinken. Könnte ich die Zeit zurückdrehen und die Dinge ändern, würde ich es tun. Es tut mir so leid, dass die Schnitter Sie verletzt haben.«
Ich schluckte schwer, um den harten Kloß in meiner Kehle zu lösen. Denn jetzt kam der harte Teil – ich musste ihm etwas vorschlagen, das mir durch den Kopf ging, seit er an diesem schrecklichen Abend in der Bibliothek in sich zusammengesunken war.
»Vielleicht … vielleicht sollte ich nicht mehr in der Bibliothek arbeiten«, meinte ich leise. »Die Schnitter könnten jederzeit einen weiteren Versuch starten, mich umzubringen. Sie werden es wahrscheinlich wieder versuchen, und ich möchte nicht, dass Sie oder jemand anderes verletzt wird, nur weil Sie zwischen mir und den Schnittern stehen.«
Nickamedes starrte mich ungläubig an. Dann fingen seine blauen Augen förmlich an zu glühen, und seine Miene wurde hart. So kannte ich ihn.
»Auf keinen Fall«, blaffte er. »So etwas will ich nie wieder hören.«
Ich blinzelte. Ich hatte angenommen, dass er meine Kündigung fraglos akzeptieren würde. Tatsächlich hatte ich sogar geglaubt, er sei vielleicht ganz froh, mich loszuwerden. »Aber …«
»Aber gar nichts«, unterbrach mich Nickamedes, seine Stimme so kraftvoll wie eh und je. »Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass du deine Pflichten wegen eines lächerlichen Schnitterangriffes vernachlässigst. Du bist meine beste Angestellte.«
Ich blinzelte wieder. »Bin ich?«
»Ja.« Er hielt kurz inne. »Trotz deiner ständigen Unpünktlichkeit.«
Ich verdrehte die Augen, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken. Seine schnippischen Worte und der grantige Tonfall verrieten mir, dass Nickamedes sich wieder erholen würde. Ich wollte mich gerade von ihm verabschieden, damit er sich noch ein wenig ausruhen konnte, als er die Stirn runzelte und mit dem Kinn auf meine Hände zeigte.
»Woran spielst du da herum?«, fragte er.
Ich senkte den Blick und stellte fest, dass ich eines der Lorbeerblätter streichelte. Mein erster Impuls war, den Ärmel nach unten zu ziehen und ihm eine ausweichende Antwort zu geben, doch dann kam mir eine Idee.
»Tatsächlich
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