Frozen Time (German Edition)
ringen, dann streckt er plötzlich den Arm aus und weist mit dem Finger auf eine geschlossene Tür, die vom Gang abgeht. »Da entlang«, sagt er leise.
Ich schüttele kräftig den Kopf, um meine Gedanken zu klären und meine Starre zu lösen, dann folge ich seinem Finger. Als ich die Tür öffne, erkenne ich dahinter ein Treppenhaus. Natürlich, warum bin ich nicht selbst darauf gekommen, dass es für Notfälle in jedem Gebäude auch noch eine Treppe geben muss! Ich blicke über die Schulter zu Milo und nicke ihm dankbar zu.Ich kann gar nicht fassen, was er gerade getan hat, ich begreife es nicht, aber in diesem Moment habe ich keine Zeit, darüber nachzugrübeln. Er hebt seine Hand, als wollte er mir winken, doch dann streicht er sich nur wieder seine Haare aus dem Gesicht.
Die Tür fällt hinter mir ins Schloss und ich haste die grauen Betonstufen hinunter, alle meine Konzentration ist darauf gerichtet, nicht zu stolpern und womöglich zu fallen. Eine Etage, noch eine, noch eine. Die Intensivstation befindet sich im fünften Stock, erinnere ich mich von meinen beiden Ausflügen. Noch zwei Absätze, einer. Dann stehe ich vor einer verschlossenen Tür.
Was mag dahinterliegen, überlege ich, während ich mich schwer atmend gegen die Wand lehne. Erst mal tief Luft holen. Dann öffne ich die Tür einen schmalen Spalt, diese Nottüren sind zum Glück nie verschlossen, und spähe ins Foyer des MediCenters.
Es muss der Eingangsbereich sein, ich erkenne einen großen Infodesk mit einer Reihe von Bildschirmen in der Mitte der großen Halle, es gibt mehrere Wartezonen mit bequem aussehenden Stühlen und Trinkbrunnen, Palmen in überdimensionalen Töpfen recken ihre dicken, grünen Blätter fast bis zur hohen, gläsernen Halbkuppel, die den vorderen Teil des Foyers nach oben begrenzt. Medis eilen geschäftig durch die Halle. In den Wartezonen und vor den Infoschirmen kann ich einige Bürger erkennen, die vermutlich für medizinische Untersuchungen hergekommen sind.
Gut, dass ich noch immer meine Alltagskleidung trage, in meiner weißen Patientenkluft würde ich auffallen, nicht aber inder engen blauen Hose und der weißen, kurzärmeligen Bluse, die ich mir heute morgen für unseren Ausflug ausgesucht habe. Das hoffe ich zumindest.
Schnell ziehe ich mir die Perücke, die ich unbewusst die ganze Zeit fest umklammert habe, über den Kopf und versuche, sie ohne Spiegel so gerade wie möglich zu rücken. Ich atme noch einmal tief durch, dann stoße ich die Tür ein Stück weiter auf und schiebe mich durch den breiteren Spalt hindurch in die Halle.
Ich bemühe mich um einen unbeteiligten Gesichtsausdruck, als ich quer durch die Halle auf das Eingangsportal zusteuere, doch mein Herz rast, und jedes Mal, wenn ein Medi an mir vorbeieilt, fürchte ich, dass er oder sie mich enttarnen wird.
Ich habe die Halle bereits zur Hälfte durchquert, durch das Eingangsportal kann ich das Licht der Sonne sehen, das draußen Schattenspiele durch die Äste der Bäume auf den Asphalt malt. Ich zwinge mich, nicht loszurennen, meine Schritte dürfen mich nicht verraten. Noch zehn, noch neun, noch acht … Ich gehe durch den breiten Eingang hinaus ins Sonnenlicht.
»Vielen Dank für deinen Besuch. Gesundheit, Glück und ein langes Leben«, sagt eine freundliche Stimme den gebräuchlichen Abschiedsgruß.
Dann bricht der Alarm los.
Es ist nur ein feiner, fast melodischer Zweiklang, Li-La-Li-La, aber er fährt mir durch den ganzen Körper.
Mein Insignal, natürlich, wie dumm von mir!
Der Scanner in der Pforte hat es gelesen, hat meine Daten registriert und mein unerlaubtes Verlassen des Gebäudes sofort gemeldet. Ich blicke mich nicht um, kann mir die überraschtenGesichter der Medis und der Wartenden nur zu gut vorstellen. Stattdessen renne ich los.
Meine Füße prasseln auf den harten Untergrund. Wie ferngesteuert habe ich dieselbe Richtung eingeschlagen, in die ich bei unserem ersten Ausflug mit Milo spaziert bin. Sind seither wirklich erst zwei Tage vergangen? Ich erreiche die erste Kreuzung, wende mich nach links. Beim Abbiegen riskiere ich doch einen Blick zurück und kann zu meiner Überraschung keine Verfolger entdecken.
Im selben Moment bemerke ich zwei Schmetterlinge, die über meinem Kopf schweben, nur eine Armlänge entfernt. Im Laufen schlage ich wild nach ihnen, erwische einen davon, er gerät aus der Flugbahn, taumelt kurz direkt vor meinem Gesicht, dann tariert er sich aus und kehrt an seinen Platz zurück.
Ich ahne, dass
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