Frozen Time (German Edition)
unter der Decke verlaufen. Auf der gegenüberliegenden Seite klafft eine Türöffnung ohne Tür, was dahinterliegt, versinkt in Dunkelheit.
Keller!
Meine Assoziation beim Anblick des Kanals fällt mir ein, und ich bin weniger überrascht, als ich erwartet hätte. Ich weiß wieder einmal, wo ich mich befinde, ohne zu wissen, ob ich jemals vorher in solchen Räumen gestanden habe. Hier, unter den Gebäuden der Ersten Metropole, liegen die Versorgungseinheiten. Vermutlich ruft mein Gehirn das gespeicherte Wissen aus den Geschichtsdokumentationen ab, denn ich erinnere mich genau.
Als die Staatengemeinschaft nach dem Ende der Großen Epidemie neu geordnet werden musste, beschloss man, die Überlebenden in zehn Metropolen zu versammeln, um ihnen eine hohe Lebensqualität gewährleisten zu können. Die ausgewählten Städte wurden von Grund auf erneuert, und das ist wörtlich zu verstehen. Das Straßenniveau wurde um zwei Stockwerkeangehoben, alte Straßenzüge wurden zum Teil geflutet, so entstanden die Kanäle. Andere wurden überdacht, um Platz für die Magnetrans zu schaffen.
Die unteren Stockwerke der alten Gebäude wurden leer geräumt, die vorhandenen Materialen recycelt. Dort entstanden die Versorgungs- und Wartungsbereiche, wo alles automatisch gesammelt wird, was in den Wohneinheiten als Abfall anfällt, um es zu den RecycleCentern am äußersten Stadtrand zu transportieren. Natürlich werden sämtliche Arbeiten von Robotern ausgeführt, keinem Bürger ist es zuzumuten, sich den ganzen Tag unterirdisch aufzuhalten. Der Gedanke beruhigt mich. Ich bin nicht nur fürs Erste den Drohnen entkommen, es besteht auch kaum Gefahr, einem anderen Menschen über den Weg zu laufen. Nur: Wo soll ich hin? Ich kann wieder freier atmen, doch gleichzeitig zittert mein Körper immer heftiger vor Kälte.
Ich lausche und höre nichts als die Wellen, die auf die Stufen der Treppe schwappen. Es gibt nur einen einzigen Weg, den ich gehen kann, also stoße ich mich von der Wand ab und gelange mit wenigen entschlossenen, wenn auch noch etwas wackeligen Schritten zu der gähnenden Türöffnung. Der Raum dahinter liegt tatsächlich beinah ganz im Dunkeln, doch durch eine weitere türlose Öffnung an der rechten Seite dringt ein schwacher, grünlicher Schein. In dem diffusen Licht erkenne ich, dass an den Wänden beinahe deckenhohe Sammelbehälter stehen, in die die Entsorgungsschächte des Gebäudes über meinem Kopf münden. Und auch hier verlaufen die Rohre unter der Decke entlang.
Je weiter ich mich vom Wasser entferne, desto lauter vernehme ich ein gleichmäßiges Brummen. Vielleicht klingt so die Magnetrans,überlege ich. Langsam durchquere ich auch diesen Raum und nähere mich vorsichtig dem grünen Schein, als dessen Quelle ich, kaum habe ich den nächsten Raum betreten, das Wartungspad eines kastenförmigen Energiekubus ausmache.
Ich umrunde den Kubus und gelange als Nächstes in einen langen Gang, der von vereinzelten Lampen notdürftig erhellt wird. Mir ist nicht klar, warum es hier unten überhaupt eine Beleuchtung gibt, denn die Roboter benötigen für ihre Arbeit kein Licht. Ob gelegentlich spezialisierte Techniker herunterkommen müssen, um Arbeiten durchzuführen, die über die Möglichkeiten der Roboter hinausgehen? Doch bevor ich die Frage vertiefen kann, bemerke ich einen Schatten, der sich lautlos von hinten nähert. Schnell drücke ich mich in die Türöffnung zurück und halte die Luft an.
Drei bange Sekunden später düst mit hoher Geschwindigkeit einer der zahllosen RecycleRobs an mir vorbei, die in diesem unterirdischen Netz unterwegs sein müssen, kurz darauf folgen dem ersten zwei weitere. Ich pruste die angehaltene Luft mit einem nervösen Lachen aus, schließe kurz die Augen und atme tief durch. Das Adrenalin pumpt vor Aufregung durch meinen ganzen Körper, und als es nach einigen Minuten aus der Blutbahn weicht, fühle ich mich mit einem Mal entsetzlich erschöpft. Müde sinke ich am Türrahmen hinunter und schlinge die Arme um die Brust, um mich vor der kalten Zugluft zu schützen, die unbarmherzig in meine nassen Kleider dringt. Meine Zähne klappern nicht nur vor Kälte, sondern auch vor Erschöpfung und vor allem vor Angst. Die Schrecksekunde, die mir der RecycleRob bereitet hat, hat mir eins klar gemacht: Auch hier im Keller kann ich aufgespürt werden! Wenn die Drohnengemeldet haben, dass ich in den Kanal gesprungen bin, werden die Officer dort nach mir suchen. Und wenn sie mich im Wasser nicht
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