Frozen Time (German Edition)
es sich nur um Vorboten handelt, sicher werden in wenigen Minuten Officer eintreffen, die mich ins MediCenter zurückbringen werden oder an einen anderen Ort. Ich will es mir lieber nicht vorstellen. Ich glaube nicht, dass ich selbst schon einmal Erfahrungen mit den Officern gemacht habe, aber ich erinnere mich daran, dass sie auf ihren Segways regelmäßig die Straßen patrouillieren.
Noch einmal beschleunige ich meinen Lauf, mein Insignal beginnt rot zu leuchten. Mein Cardiometer zeigt an, dass ich mich nicht mehr in optimaler Belastungsgeschwindigkeit bewege. Es ist mir absolut egal!
Zwei junge Männer, an denen ich vorbeirenne, unterbrechen ihr Gespräch und schauen sich nach mir um. Es kommt so gut wie niemals vor, dass Mitbürger auf offener Straße schnell laufen. Mittlerweile flattern fünf Schmetterlinge um meinen Kopf,wieder schlage ich nach ihnen, aber sie lassen sich nicht vertreiben. Hektisch blicke ich zu allen Seiten auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit. Doch da sind nur die Fassaden der Häuser. Ich sehe den Kanal vor mir, und in diesem Moment habe ich einen spontanen Einfall: abtauchen!
Das glitzernde, blaue Band des Kanals erscheint mir plötzlich wie das ideale Versteck. Unter Wasser können die Schmetterlingsdrohnen mich nicht orten. Dann können sie auch keine Signale an die Officer weitergeben. Ich überwinde die letzten trennenden Meter, bremse abrupt am Rande des Kanals, zögere nur für den Bruchteil einer Sekunde – und springe.
Hart schlägt das Wasser über mir zusammen. Augenblicklich saugt meine Kleidung sich voll, zerrt mich in die Tiefe, während eine Million winziger Bläschen um mich herum aufsteigen. Ich reiße die Augen auf, sehe aber nichts als Blau. Vielleicht war die Idee doch nicht so toll, denke ich, während meine Atemluft aus meiner Lunge strömt und in einem Schwall weiterer Bläschen an die Oberfläche steigt.
Automatisch beginnen meine Beine zu treten, meine Arme zu rudern. Ich will wieder nach oben, will atmen, brauche Luft. Doch meine nasse Kleidung zieht mich unbarmherzig weiter nach unten.
Lass dich sinken!
Die Stimme in meinem Kopf ist meine eigene. Wie aus weiter Ferne scheint sie mir ihre Anweisung zuzurufen, klingt, als wüsste sie mehr als ich selbst. Sinken lassen? Aber das wäre verrückt, denke ich.
Meine Füße berühren den Grund, ich will mich abstoßen, doch die Stimme hält mich zurück.
Geh zum Rand!
Was soll ich tun? Meiner eigenen Stimme folgen, deren Befehle mich in den sicheren Tod durch Ertrinken zu führen scheinen? Aber was habe ich für eine Wahl?
Los, geh schon!
Meine Lunge brennt, giert nach Sauerstoff. Ich presse meine Hand vor Mund und Nase, um nicht im Reflex einzuatmen. Gleichzeitig kämpfe ich mich dorthin vor, wo ich schwach durch das klare Wasser die Betonwanne des Kanals erkenne. Ich erreiche die glatte Wand, spüre das feste Material unter meinen Fingern, taste hektisch, weiß nicht, wonach ich suche.
Dann sehe und fühle ich es im selben Moment: eine silberne Schnur. Daran befestigt ist ein Drahtkasten, in dem ein paar Fische schwimmen. Ich schaue mich weiter um und entdecke eine viereckige Öffnung wie ein Fenster in der Seitenwand des Kanals. Auch darin steht Wasser, doch verschwommen erkenne ich Stufen.
Ich löse meine Finger von der Leiter, schiebe mich in die Öffnung hinein, krieche zu den Stufen, ziehe mich daran empor. Mein Kopf durchstößt das Wasser.
Ich pruste. Schnaufe. Huste. Ein Schwall Wasser kommt aus meinem Mund.
Und ich atme. Atme. Atme.
Nach einer Weile rappele ich mich hoch. Ich kann hier nicht liegen bleiben. Meine Kleidung klebt klatschnass an meinem Körper, ich beginne bereits zu zittern. Das Wasser muss die temperaturregulierende Funktion der SmartClothes ausgeschaltet haben. Und da ich nicht damit gerechnet hatte, in einen Kanalspringen zu müssen, habe ich keine wasserabweisende oder schnell trocknende Funktion ausgewählt, als ich die Kleider aus dem NanoConverter gezogen habe. Jetzt ärgere ich mich darüber, aber das bringt natürlich nichts.
Also stemme ich mich auf meine Knie, stütze mich mit der Hand an der feuchten Wand ab und komme mühsam zum Stehen.
Im trüben Licht, das durch den schmalen Schacht fällt, durch den ich gerade eben aus dem Kanal herausgekrochen bin, sehe ich mich um. Ich stehe in einem kleinen Raum, die Decke ist so hoch wie in jedem normalen Zimmer, doch die Wände sind kahl, feucht und rau, und der Raum ist leer bis auf mehrere dicke Rohrleitungen, die
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